berliner szenen Mendelssohn-Karaoke

Prost Beisheim!

„Was wird hier eigentlich gespielt?“ – „Keine Ahnung, frag mal den Typ mit der Brille da hinten.“ Auf dem Leipziger Platz, gegenüber vom gerade eröffnenden Beisheim-Center, sitzt ein Mann und spielt Cello. Am Samstagnachmittag. Außen rum brummen Autos, unten drunter rumpelt die U 2. Es ist laut: Den Mann, der Cello spielt, hört man gar nicht. Neben ihm steht Christian von Borries, der Typ mit der Brille, „Enfant terrible“ der Klassikszene und Organisator von Guerilla-Konzerten auf dem Leipziger Platz.

„Was wird eigentlich gespielt?“ – „Ein Streichquartett von Mendelssohn Bartholdy. Als Karaokeversion.“ – „Wieso das denn?“ – „Otto Beisheim hat Geburtstag. Der wird 80.“ Der Cellist sitzt in einem Wetterschutzverschlag aus Brettern und Plastikfolie, neben ihm ein Ghettoblaster, drum herum staunende Passanten. Aus dem Ghettoblaster ertönt das Streichquartett, der Cellist spielt dazu mit eisigen Fingern. Oder tut er nur so? Durch die Plastikfolie erkennt man das nicht so genau. Mendelssohn Bartholdy, der früher am Leipziger Platz gewohnt hat, hätte sich wohl kaum träumen lassen, dass ein Werk von ihm irgendwann einmal so aufgeführt würde. Aber wenn es möglich ist, dass Otto Beisheim sich zum Achtzigsten ein riesiges Denkmal in die Mitte Berlins setzt, warum sollte nicht auch Mendelssohn-Karaoke Fingern möglich sein?

Die Leute klatschen, die CD ist wohl schon zu Ende. Außen rum brummen Autos, unten drunter rumpelt die U 2. „Hatte Beisheim nicht eigentlich schon letzte Woche Geburtstag?“ – „Ist doch egal, er hätte ja eh nichts gehört.“ Christian von Borries und der Cellist reiben sich die Hände. Zum Glück ist der Glühwein warm. Prost Beisheim.

JAN KEDVES