Zu viele Vorzeichen

Die Revolution ist ausgefallen, wieder einmal: Steif und wuchtig bleibt die Inszenierung von Heiner Müllers „Auftrag“ durch Ulrich Mühe. Nur der Stillstand ist spürbar, aber nichts mehr von Müllers neuem Blick auf alte Geschichten

Als Heiner Müller sein Stück „Der Auftrag“ im Jahr 1980 vorlegte, bildete die Handlung nur den Vordergrund für die subversiven Ausdeutungen: Drei Revolutionäre werden vom Pariser Konvent nach Jamaika geschickt, um einen Aufstand vorzubereiten. Dann übernimmt Napoleon die Macht, der alte Auftraggeber existiert nicht mehr. Was tun? Der privilegierte Debuisson gibt den Auftrag zurück, der Bauer Galloudec und der Sklave Sasportas kämpfen weiter. Die verschobenen Zeitebenen und eingefügte Monologe ergaben viel Raum zum Einhaken. Mit der Französischen Revolution war natürlich die sozialistische gemeint, das Im-Stich-Lassen Napoleons zielte auf den Verrat Stalins an der sozialistischen Idee. Die historische Bestätigung des Stücks durch das Schicksal der DDR und die Wiederherstellung des Kapitalismus dagegen machen die Lesart heute zu einem offenen Abenteuer.

Das zumindest wurde erwartet von der Inszenierung des „Auftrags“ durch Ulrich Mühe. Aber schon das Bühnenbild von Erich Wonder lässt die Unentschiedenheit ahnen: napoleonisches Schlachtfeld, heruntergekommene Industriebrache, Landschaft nach der Apokalypse. Im düsteren Licht sind Rost und eingesickertes Blut erahnbar und treiben die Metaphorik der Zeitumstände in den atmosphärischen Stillstand.

Was für eine Beklemmung. Ein Ort, der zwangsläufig die drei Revolutionäre wie in einer Zeitschleife gefangen hält. Hier bewegt sich nichts. Geschichte wiederholt sich, Kräfte des Umschwungs verpuffen. Dabei hat man im Voraus darauf gesetzt, dass Ulrich Mühe, einst enger Vertrauter von Heiner Müller, in seiner Inszenierung anlässlich des 75. Geburtstags des Dramatikers einen neu pointierten Zugriff auf die gesellschaftlichen Aufbruchshoffnungen findet – aber es ist anders gekommen.

Mühe hat unbarmherzig den Kern des Stücks beschnitten. Der Widerspruch zwischen den individuellen Motiven und den Verheißungen für die Gesellschaft beschränkt sich jetzt allein auf Zweifel, Abwägungen, Misstrauen, die jeder Einzelne in sich trägt. Also auf düstere Gefühle, die an die archaische Bühnenlandschaft gebunden sind und die Figuren mit seltsamen Vorzeichen versehen.

Herbert Knaup ist als Debuisson eher ein stilles Wasser, der in Ziellosigkeit dahindümpelt und mit der Nachricht von der Machtergreifung Napoleons ohne Skrupel den Auftrag für beendet erklärt. Im Gegensatz dazu Galloudec (Ekkehard Schall) und Sasportas (Florian Lukas), denen sich zur Revolution keine Alternative aufzeigt. Der Erste appelliert mit bäuerlicher Emphase aus der Reinheit seines Herzens. Sasportas dagegen: ein von geballten Kräften durchzuckter Körper, der seinen Körper mit dicken Lederpanzern gewaltbereit macht und füßescharrend den Kampf verspricht, solange es noch Sklaven gibt. Der Auftrag, ausgeführt von zwei Science-Fiction-reifen Outlaws? Das ist dünn, aber drängt sich in wuchtigen Bildern auf.

Mühe zelebriert düstere Stimmungen. Dass die Besetzung so prominent ist, schützt nicht davor, dass die Figuren am allzu Offensichtlichen kleben – bis auf zwei Ausnahmen. Wenn Inge Keller als erste Liebe rachehungrig um den Geliebten wirbt, den sie einst an die Revolution verlor, läuft sie zu tragischer Größe auf. Und vor allem: Udo Samel, der aus dem eingeschobenen Monolog eines Angestellten im Fahrstuhl den aberwitzigen Schrecken hervorspielt. Der kurze Weg zum Chef gerät zu einer Irrfahrt durch ein Zeitloch, das ihn aus seinem Angestelltendasein auf einen anderen Kontinent katapultiert. „Was kann mein Auftrag sein in dieser wüsten Gegend jenseits der Zivilisation?“ Die Antwort fällt aus, und Samels stilles Flehen ist an der Gegenwart geschult: Selig sind die, die überhaupt einen, egal welchen, Auftrag haben.

Doch das genügt an interessanten Ansätzen nicht. Mühes „Auftrag“ ist melancholisch, düster, über weite Strecken steif und langweilig. Es ist nicht das Großereignis, das zahllose Vorberichte schon vorweg suggeriert haben. Das wird ihm garantiert übel genommen, aber der Vorwurf gilt auch umgekehrt: An den tastenden Intentionen Mühes scheitert die aufgeblasene Inszenierung drum herum.

SIMONE KAEMPF

Wieder 15.–17. 1., 20.–25. 1., jeweils 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24