Das Spielcasino des kleinen Mannes

Auch in Zeiten der Rezession werden Sportwetten immer populärer und legen ihren Halbwelt-Geruch zunehmend ab

BERLIN taz ■ Die Zeit auf der großen Uhr lief unbarmherzig ab. „Sportwissen vergolden. Einsatz lohnt sich“, schoss dem kleinen Mann noch einmal der Geldgewinn verheißende Slogan einer Wettgesellschaft durch den Kopf. Nur ein winziges Kreuz noch. Nicht irgendwo, an der richtigen Stelle natürlich. Der abgegriffene Kugelschreiber kritzelte über das Papier. Fertig, ein sicherer Tipp! Wie sollte Werder Bremen nicht gewinnen gegen den Tabellenvorletzten Energie Cottbus, trotz des erstaunlichen Rückrundenstarts der Lausitzer? Und dann kam wieder einmal alles ganz anders: Das Team der Vorrunde hatte 0:1 verloren. Dem kleinen Mann lief vor seinem TV-Apparat ein eiskalter Schauer über den Rücken. Es gab aber außer den Cottbusern noch einen eiskalten Gewinner im Weserstadion. Der Profit der Wettbüros lag deutlich höher nach dem Favoritensturz.

Das schnelle Geschäft mit dem unberechenbaren Sport boomt in Deutschland, trotz der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Situation. 17,9 Millionen Euro spielte die Lotto GmbH in der Bundeshauptstadt Berlin mit ihrem Sportwetten-Ableger „Oddset“ in den vergangenen zwölf Monaten ein. Die Sportfans hatten 400.000 Euro mehr verjubelt als 2001. Seit 1990 der Markt geöffnet wurde, sind Annahmestellen zwischen Hellersdorf und Wannsee aus dem Boden geschossen – von „Oddset“, „digibet“, „Sportwetten Gera“ oder „betandwin“. Einzelwetten, Sonderwetten bis zu unterklassigen Provinzderbys aus dem Mutterland des Wettens: Großbritannien. Wo die kostspielige Leidenschaft längst zur Tradition und damit zum Wirtschaftszweig geworden ist. „Was soll ich damit machen“, fragte Queen Elizabeth II., als sie ihren Gewinn beim Pferderennen erhielt: 16 Pfund in bar.

Sportwetten mit ihrem chronisch muffigen Geruch nach Halb- und Unterwelt sind auch in Deutschland auf dem Weg, salonfähig zu werden. Strahlende Stars – saubere Geschäfte. „Erhebliche Akzeptanzzuwächse“ erkennt Michael Krumreich aus der Führungsetage von „digibet“, einem Wettanbieter mit Sitz in Berlin. „Vor allem, seit die staatliche Lotto GmbH mit Oddset 1999 in die Werbeoffensive gegangen ist.“ Bundesweit steigerte Oddset im vergangenen Jahr den Umsatz auf 505 Millionen Euro. „Die Leute nehmen die Wette gut an“, urteilt Ute Semkat von der Presseabteilung des deutschen Lottoblocks.

Das Wettbüro ist im Zeitalter des Teuro zum Spielcasino des kleinen Mannes geworden. Strategisches Lotto. Die „Wetten, dass …?“-Show für Sportfans, quer durch die rezessionsgeplagte Gesellschaft. Kaiserslauterns Mittelfeldstar Mario Basler erklärt in einem Sportmagazin gewohnt großspurig, dass er 10.000 Euro auf den Klassenerhalt seines Vereins setzen will. „Ich wette, weil es mir einen Kick gibt“, berichtet der Geograf Jens Krug. Richtig: Weil auch der letzte Gruselkick auf der Wohnzimmercouch zum Highlight wird, wenn Geld auf dem Spiel steht.

Der Journalist Jorma Vuoksenmaa behauptet in seinem Buch „Sportwetten – Strategien für ihren Wetterfolg“: „Die größte Erfahrung im Leben ist es, eine Wette zu gewinnen. Die zweitgrößte, eine zu verlieren.“ Vor einigen Jahren hat der Finne das 240-Seiten-Werk verfasst, für ihn hat sich sein Einsatz gelohnt. In Skandinavien erklomm der Wett-Almanach schnell die Bestsellerlisten. Vor achtzehn Monaten erschien eine deutschsprachige Ausgabe. Risiken und Nebenwirkungen beschreibt Vuoksenmaa unter den Stichworten „soziales Abseits“, „Spielsucht“ und „Rausch“.

Bayern München fährt am Samstag nach Cottbus. Eine sichere Bank … oder? LARS SITTIG