... und Praxis

Was tun, wenn’s brennt? Statt auf Rosa und Karl zu vertrauen, setzten Peter Grottian und Studenten auf die Propaganda der Tat. Zum Schwarzfahren für das Sozialticket kamen aber nur 130 Mitstreiter. 40 Knöllchen erstattet

VON TORBEN TRUPKE

„Bis jetzt haben wir noch keinen Kontrolleur getroffen“ – die fünf Studenten auf dem S-Bahnsteig am Ostkreuz wirken etwas enttäuscht. Seit 9 Uhr sind sie schon unterwegs an diesem nebligen Samstagvormittag. Ihre Mission: die Fahrgäste über die Abschaffung des Sozialtickets (20,40 Euro statt 58,50) zu informieren und die Kontrolleure vom Kontrollieren abzuhalten.

Der Trägerkreis „Recht auf Mobilität – fahrt schwarz“ hatte alle Berliner, die weniger als 700 Euro im Monat verdienen, für Samstag zum zivilen Ungehorsam aufgefordert. Statt theoretisch auf hohem Niveau zu jammern, sollte ganz praktisch gehandelt werden. Wenn auch ohne allzu großes Risiko. Wer beim Schwarzfahren erwischt wird, lautete die Parole, kann sich das „erhöhte Beförderungsentgelt“ bei Initiator und FU-Politologe Peter Grottian und seinen Mitstreitern erstatten lassen. Aber dazu soll es gar nicht erst kommen.

Es ist 11.30 Uhr. Gerade fährt die S 8 nach Pankow ein, die fünf entern den nächstbesten Waggon. Kaum haben sich die Türen geschlossen, legen sie los. Sie tun so, als würden sie sich miteinander unterhalten, allerdings in Saal-Lautstärke. „Wusstest du schon, dass seit dem 1. Januar das Sozialticket gestrichen ist?“ Die Dialogform ist eine Strategie, die den Teams von den Organisatoren empfohlen wurde. „Man kann auch versuchen, andere Fahrgäste ins Gespräch einzubeziehen“, ist auf einem Infoblatt des Trägerkreises für die Studenten zu lesen. Der Rat zur Tat kommt an: „Ich finde die Aktion gut, denn ich bin Rentner und habe wenig Geld“, meint Wolfgang Müller aus Weißensee.

Szenenwechsel. Im U-Bahnhof Hermannplatz ist Student Yann Eric Döhner mit seinen Leuten gerade einem Mitstreiter zu Hilfe gekommen. Jürgen Freier ist von einem BVGler aufgefordert worden, den Bahnhof zu verlassen. Freier hatte den Kontrolleur verfolgt und genervt, bis der die Nerven verlor. Die Polizei ist dazugekommen. „Der Herr von der BVG hat hier Hausrecht“, macht der Mann in Grün Freier klar. Genau das wollte der Trägerkreis erreichen. Die Studenten sollten die Kontrolleure in Diskussionen über ihre Tätigkeit verwickeln. Die Strategie scheint zu funktionieren – die Kontrolleure sind verunsichert. Freier muss nicht gehen, der BVGler gibt schließlich klein bei.

Ein paar Meter weiter stehen Anna, Markus, Resa und Marius. Sie fahren seit 11 Uhr mit der S-Bahn zwischen Warschauer Straße und Friedrichstraße hin und her. In den Händen halten sie ihre selbst gemachten Flyer, die sie unters Volk bringen wollen. Über 1.000 sind es vor eineinhalb Stunden gewesen – jetzt ist nur noch die Hälfte davon übrig. Es läuft gut, „die Mehrheit der Leute ist interessiert und stimmt uns zu“, erzählt Anna zufrieden.

Die U 8 rollt an, es geht weiter. „Liebe Fahrgäste, das hier ist keine Kontrolle, sondern eine Information über die Preispolitik der BVG“, ruft Markus in den Waggon. Auf den Handzetteln werden die Fahrgäste aufgefordert, sich beim Senat über die Streichung der Vergünstigungen für sozial Schwache zu beschweren.

Am Ende des Tages die ernüchternde Bilanz. Nur etwa 130 Studenten haben an der Aktion teilgenommen, die benachteiligte Klasse hat sich nicht angeschlossen, Theorie hin, Praxis her. Überhaupt war die Beteiligung an studentischen Protesten am Samstag eher mau. Auch bei der fast schon traditionellen Unistreikdemo liefen nur 1.000 zum Roten Rathaus. Dort bezeichnete Peter Grottian die Schwarzfahraktion dennoch als gelungen: Viele Berliner seien zum Nachdenken angeregt worden. Bis Sonntagmittag ließen sich etwa 40 Leute ihr Knöllchen von den Organisatoren erstatten. Sprecher von S-Bahn und BVG bezeichneten die Aktion als „ruhig“. Von einigen kleinen Protesten abgesehen sei wenig passiert. Lediglich am Fehrbelliner Platz musste die Polizei gerufen werden, weil Kontrolleure massiv behindert worden seien.