Grüne flexibel beim Sparziel 2006

Nicht nur Umweltminister Trittin warnt davor, durch Sparen die Konjunktur zu schwächen

BERLIN taz ■ Spitzenpolitiker der Grünen stellen das große finanzpolitische Ziel der Bundesregierung in Frage. Nach Informationen der taz hat Bundesumweltminister Jürgen Trittin bei der Sitzung des Parteirates vor anderthalb Wochen das Vorhaben, im Bundeshaushalt 2006 nahezu ohne Schulden auszukommen, als „ehrgeizig“ bezeichnet. Dieses Ziel sei angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage nur noch „sehr schwer“ zu erreichen.

Die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen, Antje Hermenau, bezeichnete es hingegen als „falsch“, den Kurs der Etat-Konsolidierung jetzt zu verlassen.

Trittin plädiert dafür, in den kommenden Jahren eine „höhere Defizitfinanzierung“ einzukalkulieren als ursprünglich geplant. Ähnliche Positionen vertreten auch andere Spitzengrüne. Parteichef Reinhard Bütikofer warnt zwar davor, die Philosophie der Konsolidierung grundsätzlich aufzugeben. Seiner Ansicht nach ist jedoch eine neue finanzpolitische Flexibilität notwendig, um die möglicherweise schwache Konjunktur in den kommenden Jahren nicht zusätzlich abzuwürgen.

Die Diskussion bei den Grünen kommt jetzt auf, weil es nach 2002 auch in diesem Jahr schwierig wird, unter der im Maastrichtvertrag festgelegten Verschuldungsgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandprodukts zu bleiben. Laut Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) wird das nur gelingen, wenn das BIP-Wachstum 2003 mindestens ein Prozent beträgt. Das aber erscheint fraglich: Der Internationale Währungsfonds hat seine Prognose auf 0,7 Prozent reduziert.

Dabei sind die negativen Effekte des möglichen Irakkrieges noch nicht einkalkuliert. Trittin geht davon aus, dass ein Krieg die deutsche Finanzplanung für 2003 endgültig über den Haufen wirft. Weil die Zeit davonlaufe, werde es damit auch unrealistischer, das Sparziel für 2006 zu erreichen.

Anstatt wegbrechende Steuereinnahmen durch weitere Sparanstrengungen aufzufangen und dadurch die lahmende Konjunktur weiter zu schwächen, peilen manche Grüne nun eine expansivere Finanzpolitik an. Laut Trittin kommt dafür ein Investitionsprogramm etwa für Wärmedämmung und Altbausanierung in Frage. „Ein kommunales Investitionsprogramm kann grundsätzlich sinnvoll sein“, erklärt auch die Bundesgeschaftsführerin der Grünen, Steffi Lemke.

Als weitere Möglichkeit nennt Bundesumweltminister Trittin, die geplanten Stufen der Steuerreform 2004 und 2005 auf einen Termin zum Jahresbeginn 2004 zusammenzulegen.

Um ein Aufbruchsignal in die Wirtschaft zu senden, hatte auch die grüne Finanzexpertin Christine Scheel diese Idee ins Spiel gebracht. Grundsätzlich wendet sie sich aber dagegen, Sparziel und Maastrichtpakt aufzuweichen. „Diese Debatte ist daneben, weil heute niemand weiß, wie die wirtschaftspolitische Entwicklung in den nächsten Monaten sein wird“, sagte Scheel gestern. Sie setzt darauf, dass mit den geplanten Reformen des Sozialsystems im 2. Halbjahr 2003 die Konjunktur besser läuft.

Unterstützt wird Scheel von der haushaltspolitischen Sprecherin Antje Hermenau. „Wir müssen die strukturellen Reformen jetzt machen – unabhängig von der Konjunktur“, so Hermenau.

Um ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik besser vorzubereiten und zu diskutieren, will die Grünen-Parteispitze in diesem Jahr zwei Beiräte ins Leben rufen: einen Wirtschaftsrat und einen Gewerkschaftsrat. Angesprochen werden sollen sowohl Interessenvertreter der jeweiligen Traditionslinien als auch die Exponenten der kritischen Positionen. HANNES KOCH