Geheimdienst behindert Akteneinsicht

Trotz eines Gesetzes zur Öffnung der Archive wird die Aufarbeitung der Vergangenheit in Rumänien durch die Ex-Kommunisten erschwert. Oppositionelle fanden aber einen Weg, 1.500 Namen ehemaliger Mitarbeiter der Securitate zu veröffentlichen

VON KENO VERSECK

Als Marius Oprea nach Jahren des Wartens endlich seine Securitate-Akte einsehen konnte, staunte er nicht schlecht. Der 39-jährige Historiker vom Bukarester „Institut für Zeitgeschichte“ hatte einen Stapel dicker Aktenordner erwartet. Doch was er im April 2001 zu Gesicht bekam, waren ganze sechs Seiten.

Dabei hat Oprea eine garantiert aktenträchtige Vergangenheit. Das erste Mal verhaftete ihn die Securitate im Sommer 1988. Da hatte er gerade sein Geschichtsstudium in Bukarest und einige illegale Aktionen hinter sich: Mit Kommilitonen hatte er heimlich Flugblätter gegen die Ceaușescu-Diktatur verteilt. Nachdem die Securitate ihm und seinen Freunden auf die Spur gekommen war, musste er sich im Zwei-Wochen-Rhythmus beim Geheimdienst zu Verhören melden – bis zum Sturz des Diktators im Dezember 1989.

Die Erfahrungen mit dem Geheimdienst ließen Oprea nicht mehr los. Nach 1989 begann er die Geschichte der Securitate zu erforschen. Inzwischen ist er einer der prominentesten rumänischen Securitate-Experten. Sehr zum Missfallen ehemaliger Securitate-Offiziere, die heute in den Nachfolgegeheimdiensten arbeiten. Oprea ist sich sicher, dass seine Akte nahtlos weitergeführt wurde und er sie deshalb bis heute nicht einsehen kann. Er habe etwa erfahren, erzählt Oprea, dass er bei rumänischen Geheimdiensten als ausländischer Spion geführt werde – weil er des Öfteren mit der deutschen Gauck-Behörde zu tun hatte.

Opreas Fall ist beispielhaft dafür, wie Rumänien mit seiner Geheimdienstvergangenheit umgeht. Nach dem Sturz Ceaușescus dauerte es allein zehn Jahre, bis das Parlament ein Gesetz zur Aktenöffnung verabschiedete. Zwar kann seit Frühjahr 2000 jeder rumänische und ausländische Bürger Einsicht in seine Securitate-Personalakte beantragen. Auch Historiker haben die Möglichkeit, die Akten von Ceaușescus Geheimdienst zu Forschungszwecken zu studieren. In der Praxis jedoch stößt die Aktenöffnung bis heute auf Hindernisse. Nach dem Aktenöffnungsgesetz brauchen Personalakten mit Informationen, die die nationale Sicherheit Rumäniens berühren, nicht an die Betroffen ausgehändigt werden.

Tatsächlich mussten viele Betroffene feststellen, dass bei Einsicht umfangreiche Teile fehlten. Hinzu kommt, dass die Securitate-Archive nicht von der Aktenöffnungsbehörde (CNSAS) selbst verwaltet werden, sondern von den Nachfolgegeheimdiensten der Securitate, so vom Rumänischen Informationsdienst (SRI). Die Geheimdienste sind zwar gesetzlich verpflichtet, die Archive Stück für Stück dem CNSAS zu übergeben. Sie spielen jedoch auf Zeit. Knapp vier Jahre nach Beginn der Aktenöffnung verwaltet das CNSAS lediglich etwa 4 Prozent des gesamten Archivbestandes. Auch innerhalb der Behörde gibt es Konflikte. Ihr steht ein zwölfköpfiges Leitungsgremium vor, dessen Mitglieder vom rumänischen Parlament nach Parteienproporz entsandt werden. Monatelang erschienen im letzten Jahr die von der regierenden wendekommunistischen „Sozialdemokratischen Partei“ (PSD) eingesetzten Vertreter nicht zu Sitzungen des CNSAS-Leitungsgremiums. Mit der Folge, dass die Arbeit der Aktenöffnungsbehörde praktisch brachlag. Dabei ging es um weitreichende Entscheidungen – unter anderem darum, ob die Namen ehemaliger Securitate-Offiziere veröffentlicht werden können. Für die Regierungspartei ist das natürlich unangenehm, sind doch viele ihrer Mitglieder ehemalige Securitate-Mitarbeiter gewesen. Prominentestes Beispiel ist der PSD-Abgeordnete Ristea Priboi, dem vorgeworfen wird, Gegner der Ceausescu-Diktatur verhört und misshandelt zu haben. Mitte Oktober wurden nach langem Hin und Her erstmals 33 Namen ehemaliger Securitate-Offiziere veröffentlicht, Ende Dezember noch einmal 5 weitere.

Viele dieser Leute sind längst verstorben. „Nach vier Jahren 38 Securitate-Offiziere, davon ein Drittel tot – ein Hohn!“ Marius Oprea schüttelt den Kopf. Er glaubt nicht daran, dass die regierenden Wendekommunisten künftig mehr Offenheit zulassen werden. Deshalb hat Oprea zusammen mit Kollegen vom „Institut für Zeitgeschichte“ ein eigenes Projekt zur Veröffentlichung der Namen von Securitate-Offizieren ins Leben gerufen. Die Methode ist einfach: Oprea und seine Kollegen sprechen mit Leuten, die bereits Einsicht in ihre Akten erhalten haben, und schreiben aus deren Unterlagen die Namen von Securitate-Offizieren heraus. So kamen in den letzten Monaten rund 1.500 Namen zusammen. Mitte Dezember begann die rumänische Wochenzeitung Academia Caţavencu mit der Veröffentlichung. „Wir werden das machen, solange wir Namen finden“, sagt Marius Oprea. „Wenn eine staatliche Institution wie die Aktenöffnungsbehörde in ihrer Arbeit absichtlich von der Politik behindert wird, dann muss eben die Zivilgesellschaft eingreifen.“