Die Koalition der Erpressten

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Der UNO-Sicherheitsrat befasst sich heute in New York hinter verschlossenen Türen erneut mit dem Thema Irak. Wohlweislich bestehen die USA, Großbritannien und Spanien noch nicht auf einer Abstimmung über ihren am Montag vorgelegten Entwurf für eine Kriegsresolution, für dessen Annahme mindestens neun Jastimmen erforderlich sind. Denn heute würde außer den drei Autoren des Entwurfs lediglich Bulgarien mit Ja votieren. Zudem dürfte zumindest eines der drei ständigen Ratsmitglieder Frankreich, Russland und China ein Veto einlegen. Die Bush-Administration bemüht sich – unterstützt von London und Madrid – intensiv, bis zu der von ihr verlangten Abstimmung in der zweiten Märzwoche mindestens fünf weitere nichtständige Ratsmitglieder zu einer Jastimme zu bewegen und eine Enthaltung der drei Vetomächte sicherzustellen. Washington stehen dafür vielfältige Instrumente wirtschaftlicher und politischer Pression, aber auch Anreize zur Verfügung.

Zum Beispiel Chile

Chile steht bereits seit seinem Einzug in den Rat Anfang Januar unter massivem Druck aus Washington, die Irakpolitik der Bush-Administration zu unterstützen. Unter anderem zögert Washington die schon seit geraumer Zeit versprochene Ratifizierung des Vertrags über den Beitritt Chiles zur Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta (bislang: USA, Kanada und Mexiko) hinaus. Am Samstag erhielt Präsident Ricardo Lagos bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen einen Anruf seines Amtskollegen George Bush, der auf die Zusage einer Jastimme drängte. Mit demselben Wunsch meldete sich am Sonntag auch der britische Premierminister Tony Blair telefonisch bei Lagos. Nach den Anrufen erklärte Lagos, er habe „nicht nachgegeben“. 76 Prozent der Chilenen sind gegen einen Irakkrieg.

Zum Beispiel Mexiko

Auch Mexikos Präsident Vincente Fox erhielt am Wochenende Anrufe von Bush und Blair. Zur Unterstützung dieser Bemühungen legte Spaniens Ministerpräsident José Aznar bei seiner Reise in die USA einen Zwischenstopp in Mexiko-Stadt ein für ein Gespräch mit Präsident Fox. Zuvor hatte bereits Tony Garza, Washingtons neuer Botschafter in Mexiko-Stadt, Fox ganz unverblümt gewarnt, der US-Kongress werde alle anhängigen Gesetzesmaßnahmen über wirtschaftliche Hilfen an Mexiko blockieren, sollte Mexiko im Sicherheitsrat einer von den USA eingebrachten Resolution nicht zustimmen. Auch könne Fox dann seine Bemühungen um eine Reform der amerikanischen Immigrationspolitik und eine Amnestie für illegale mexikanische Arbeiter in den USA einstellen.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit Mexikos von seinem nördlichen Nachbarn ist enorm. 80 Prozent aller Exporte gehen in die USA. Washington könnte den Druck auf Mexiko verschärfen, den Abbau von Zöllen und anderen Restriktionen gegen Agrareinfuhren aus den USA zu beschleunigen, wozu Mexiko unter dem Nafta-Vertrag verpflichtet ist. Gegen den Abbau protestierten im Januar zehntausende mexikanische Kleinbauern.

Zum Beispiel Angola, Kamerun und Guinea

Die Regierungen der drei afrikanischen Ratsmitglieder erhielten diese Woche Besuch von der stellvertretenden britischen Außenministerin Valerie Amos. Bereits letzte Woche weilte der für Afrika zuständige Unterstaatssekretär des US-Außenministeriums, Walter Kansteiner, in den Hauptstädten Angolas, Kameruns und Guineas.

Kansteiner erinnerte seine Gesprächspartner an Bestimmungen zweier für diese Länder sehr wichtigen US-Gesetze: Im Jahr 2000 beschloss der US-Kongress erhebliche Erleichterungen für den Import von Produkten aus afrikanische Staaten. Doch nach diesem Gesetz erhält den privilegierten Marktzugang nur, wer „ keine Aktivitäten betreibt, die die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der USA unterminieren“. In einem im August 2002 verabschiedeten Zusatz über die Gewährung von Handelspräferenzen für die 46 am wenigsten entwickelten Länder – zu denen Kamerun und Guinea gehören – verfügte der Kongress die Streichung dieser Präferenzen, wenn ein Land „keine Schritte unternimmt, die Bemühungen der USA bei der Terrorismusbekämpfung zu unterstützen“. Unter dem Eindruck dieser Bestimmungen hatte bereits im Oktober 2002 das inzwischen ausgeschiedene Ratsmitglied Mauritius seine ursprünglichen Bedenken gegen die Irakresolution 1441 aufgegeben.

Besonders stark umworben wurde bislang Angola. Präsident José Eduardo dos Santos erhielt bereits am 5. Februar einen Anruf von US-Vizepräsident Dick Cheney. Am 11. Februar meldete sich Präsident Bush, und tags drauf rief – in Absprache mit Washington – José Durão Barros, der Premierminister von Angolas ehemaliger Kolonialmacht Portugal, bei dos Santos an.

Zwischen Cheney und Bush meldete sich Frankreichs Präsident Jacques Chirac bei seinem angolanischen Amtskollegen. Paris bemüht sich auch intensiv um Kamerun und Guinea. Letzten Freitag unterzeichneten alle drei afrikanischen Ratsmitglieder zunächst einmal eine Erklärung, die die französische Position im Rat unterstützt.

Zum Beispiel Pakistan

Die Regierung in Islamabad erhielt klare Signale aus Washington, dass bei einer Neinstimme oder auch nur einer Enthaltung zu der Kriegsresolution die von der Bush-Administration versprochenen Kapitalhilfen und Handelserleichterungen ausbleiben könnten. Auch die auffällige Zurückhaltung Washingtons gegenüber dem (illegalen) Atomwaffenprogramm Pakistans sowie der im Januar bekannt gewordenen pakistanischen Unterstützung für das Atomwaffenprogramm Nordkoreas könnte dann ein Ende haben. Zudem könnte die Bush-Administration die Einlösung ihrer bereits im Jahr 2001 gemachten Zusage zur Aufhebung von Einfuhrrestriktionen gegen pakistanische Textilimporte weiter hinauszögern.

Zum Beispiel China

Auch die chinesische Regierung erhielt – zuletzt beim Pekingbesuch von US-Außenminister Powell am Montag – die Zusicherung, Washington werde sich in der UNO-Menschenrechtskommission erstmals seit vielen Jahren nicht um eine Resolution zur Verurteilung Chinas bemühen.

Zum Beispiel Frankreich

Über Frankreich – das allein im Jahr 2001 Wein im Wert von 830 Millionen Dollar in die USA exportierte – könnte Washington theoretisch Handelssanktionen verhängen, würde damit allerdings gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO verstoßen. Einige Kongressmitglieder fordern bereits entsprechende Maßnahmen. Washington setzt aber auf die Strategie der Isolation Frankreichs und geht davon aus, dass Paris die Kriegsresolution mit Enthaltung passieren lässt, wenn klar ist, dass auch Russland und China kein Veto einlegen.Zum Beispiel Russland

Die Bush-Administration hat der Regierung Putin für den Fall einer Jastimme oder zumindest einer Enthaltung Unterstützung zugesagt für das russische Aufnahmebegehren in die WTO. Zudem erhielt Mokau Zusicherungen, dass zumindest ein Teil der seit dem letzten Golfkrieg vereinbarten russisch-irakischen Ölverträge auch nach einem Sturz des Regimes von Saddam Hussein unangestastet bleibt und dass eine künftige Regierung in Bagdad die irakischen Altschulden in Höhe von 8 Milliarden US-Dollar an Moskau bezahlt. Schließlich wurde Putin aus Washington signalisiert, er habe bei der für April geplanten Frühjahrsoffensive der russischen Streitkräfte in Tschetschenien freie Hand und müsse auch nicht mit amerikanischer Kritik in der – ab Mitte März in Genf tagenden – UNO-Menschenrechtskommission rechnen.