themenläden und andere clubs
: Kreuzberg hat endlich wieder einen Szene-Laden: Möbel Olfe

Die neue Betonbehaglichkeit

Die Luft wird wärmer. Wer nicht gerade an Grippe oder Brechdurchfall leidet, den zieht es wieder hinaus. Wie schön, dass Kreuzberg ein neues Szenelokal hat: Möbel Olfe, eine Bar, mit der man auch bei außerbezirklichen Gästen Eindruck schinden kann. Interessant am very hinteren Ende des Neuen Kreuzberger Zentrums (NKZ) versteckt, liegt die gläserne Trinkhalle da, ganz in Beton, grau in grau.

Die letzten Jahre waren die der sozialistischen Clubarchitektur. Ob Haus des Lehrers, Café Moskau oder Ahornblatt: Jedes muffelnde Vereinsheim und jede stumpfe Kaufhalle wurden begeistert in Besitz genommen. Jetzt aber wollen die Westberliner Bauten der Sechziger und Siebziger zu neuem Clubleben erweckt werden. Die oft missverstandene und zur Bausünde degradierte Licht-und-Sonne-Architektur dieser Jahre wird nun im Sinne der Erfinder genutzt – als Treffpunkt, Spielwiese und Marktplatz der Möglichkeiten. Raus aus den tristen Hinterhöfen – rein in den Beton! Zeigt doch nur reiner Beton das unschuldige, nackte Gesicht der Welt. Steht Beton doch für den unbelasteten Neuanfang der Menschheit!

Das Besondere an Möbel Olfe ist aber nicht nur der Beton, es sind auch die Menschen. Auswärtige sind leicht geneigt, Möbel Olfe als soziales Biotop zu interpretieren. Dabei trifft sich hier in der Betonbehaglichkeit eigentlich nur die Kundschaft von Läden wie dem Roses, der Rote Harfe, dem SO 36 oder dem Babylon-Kino. Dazu kommen Anwohner und Touristen. Aber diese ganz bestimmte Mischung sexueller, ethnischer und modischer Minderheiten hat ja seit jeher den Charme unseres kleinen Viertels ausgemacht. Alte Kreuzberger Tugenden wie zügige Bedienung, reelle Preise und Tischfußball werden hier gepflegt. Ein langer, funktionaler Tresen setzt Akzente. Die Ausstattung ist mit dem veralteten Modewort „trashig“ gut beschrieben. Gern bleibt der Blick an den nackten Deckenverschalungen hängen, schweift hier über ein Geweih und dort über ein Stück Kunstrasen oder eine festgetackerte Gummipuppe.

Die positive Rückeroberung der verfemten Siebzigerjahre-Architektur eröffnet neue Ausblicke: raven im Schöneberger Sozialpalast, loungen im Steglitzer Rasierpinsel, clubben im UG des Europacenters. Auch am Kotti ist Möbel Olfe erst der Anfang. Es soll hier doch gleich ein ganzes „Szenekaufhaus“ entstehen. Als eine Markthalle der besonderen Art zieht ein Siebzigerjahre-Kaufhaus ins NKZ. Alteingesessenen sind die Lokalitäten im ersten Stock ja noch als „Obi- Markt“ bekannt.

Wer befürchtet, dass im Szenekaufhaus Secondhand-Lumpen, indische Gewänder und selbst gemachter Schmuck verkauft werden, wird durch die Website des NKZ beruhigt: „Vogelgezwitscher vom Band... es riecht nach exotischen Ölen und Räucherstäbchen, irgendwo surrt eine Tätowiermaschine … Kreuzberger Charaktergesichter, plätschernde Brunnen mit Wasser speienden Kampfhundimitationen …“. Nun ja. Lauter liebe Kreuzberger Ich-AGs können hier ihre neue Heimat finden. Und wer beim Kreuzberger Existenzgründungsboom nicht mitmachen mag, kann zumindest als freie Ich-Trinker-AG oder Ich-Flaneur-AG teilhaben.

CHRISTIANE RÖSINGER