Mauer des Schweigens rettet Polizei

Amtsgericht Hagen spricht Polizeibeamte frei, die eine Kollegin mißhandelt haben sollen. Angeklagte hatten Vorwürfe bestritten. Zeugen aus der Polizei verweigerten allesamt Aussage. Nebenklage sieht Schaden für Rechtsstaat

HAGEN taz ■ Das Hagener Amtsgericht hat fünf Polizeibeamte freigesprochen, die eine Kollegin gequält haben sollen. „Es bestehen Zweifel an der Schuld der Angeklagten“, sagte Richter Michael Brass. Eine 28-jährige Polizeibeamtin hatte behauptet, von Kollegen mit Handschellen gefesselt und an einem Kleiderhaken aufgehängt worden zu sein. Thomas Etzel, Anwalt des Opfers, kritisierte das Urteil: „Man ist offenbar wehrlos gegen Polizeibeamte.“ Die Staatsanwaltschaft hatte Bewährungsstrafen gefordert, die Nebenklage geht in Revision. Der ursprüngliche Vorwurf „Körperverletzung im Amt“ war vom Gericht nicht zugelassen worden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten hat gegen Richter Brass deshalb Strafanzeige wegen Strafvereitelung im Amt gestellt.

Der Vorfall liegt Jahre zurück. 1999 fing Yvonne S. bei der Hagener Polizei an. Ordnungshüterin zu sein war ihr Traumberuf, schon ihr Vater trug grün. Doch die Zeit in Hagen wurde für die Frau zum Martyrium. „Ich bin durch die Hölle gegangen“, sagte S. vor Gericht aus. Frauenfeindliche Schikane sei in der Behörde an der Tagesordnung gewesen.

Irgendwann um die Jahreswende 2000 vollzogen mehrere Beamte an Yvonne S. angeblich ein demütigendes Initiationsritual. „Ich solle mal den ‚Frauenparkplatz‘ kennen lernen“, hätte ein Kollege gesagt. Der vermeintliche Kumpel hielt die Polizistin fest, zwei weitere Kollegen fesselten sie mit Handschellen und hängten sie an einem Kleiderhaken im Dienstzimmer auf, sagte S. aus. Ein anderer Kollege habe sie aufgefordert: „Wehr dich nicht, dann tut es auch nichts so weh.“ Mehrere Polizisten hätten die hilflose Kollegin auf dem „Frauenparkplatz“ ausgelacht, eine Kollegin sah angeblich tatenlos zu. Erst nach Minuten wurde S. befreit. Ihre Hände waren angeschwollen und blutig.

Schlimmer waren die seelischen Qualen, sagte die Nebenklägerin. Dem schwer kranken Vater verheimlichten Yvonne und ihre Mutter den Vorfall. Sie erstattete keine Anzeige, redete mit niemandem. „Auf der Wache wurde die Sache totgeschwiegen“, berichtete die Polizistin. Monate, Jahre vergingen. S. liess sich nichts anmerken, sie unternahm sogar wieder etwas mit ihren Peinigern. „Was sollte ich denn machen, ich war ganz alleine.“ Erst 2002 legte sie Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Anwalt Etzel riet ihr zu einer Anzeige. Die Angelegenheit wurde zum Politikum. Der Innenausschuss des Landtags beschäftigte sich mit dem Fall – die beschuldigten Polizisten wurden suspendiert.

„Yvonne S. hat eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten“, sagte ihr Anwalt. Die mittlerweile in Dortmund arbeitende Polizistin könne sich nicht mehr an den genauen Tatzeitpunkt erinnern. Minutenlang befragte der Richter S. erfolglos, auch die Mutter konnte kein Datum nennen. Zudem war Yvonne S. die einzige Zeugin. Die Angeklagten bestritten die Vorwürfe und schwiegen. Zeugen aus der Hagener Polizei verweigerten vor Gericht die Aussage – eine Mauer des Schweigens.

Die Verteidigung hatte einen Coup vorbereitet. „Gab es bei anderen Gelegenheiten Spiele mit Handschellen im Kollegenkreis“, wollte ein Rechtsbeistand von Yvonne S. wissen. „Nicht, dass ich wüßte“, antwortete sie. Dann zog der Anwalt ein Foto aus der Aktentasche. Auf dem Bild lehnt Yvonne S. mit ausgebreiteten Armen an einem Maschendrahtzaun, ihre Hände sind mit Handschellen am Zaun gefesselt. „Wie können Sie sich das erklären“, fragte Amtsrichter Brass streng. Yvonne S. schüttelte nervös mit dem Kopf, konnte die Zweifel nicht ausräumen. Kurz danach wurden die Angeklagten freigesprochen. MARTIN TEIGELER