Kiezprädikat: polizeirelevant

Innensenator Körting dementiert, dass es in Berlin „No-go-Areas für die Polizei“ gibt. Er spricht lieber von problembelasteten Kiezen. Das sind zurzeit neun an der Zahl. Dazu gehört nicht nur das Rollbergviertel, sondern auch der Klausenerplatz

VON PLUTONIA PLARRE

Über kaum einen Berliner Stadtteil ist im vergangenen Jahr so viel Negatives geschrieben worden wie über das Neuköllner Rollbergviertel und den Soldiner Kiez im Wedding. Begriffe wie „No-go-Area für die Polizei“ und „Ausländerghettos“ machten die Runde. Was das Rollbergviertel betrifft, waren es die Todesschüsse auf einen SEK-Beamten, die im April 2003 das Medieninteresse ausgelöst hatten. Kurz darauf gelangte der interne Bericht eines Inspektionsleiters für organisierte Kriminalität in die Presse, der die Emotionen weiter angeheizt hatte: Für den Soldiner Kiez sei es fast symptomatisch, so der Kripobeamte, dass Polizisten von Anwohnergruppen nichtdeutscher Herkunft vor Ort bedeutet werde: „Dies ist unser Kiez. Ihr habt hier nichts verloren.“

Was ist dran an der Behauptung von den „Ghettos“ in Berlin, und welche Konsequenzen zieht der Innensenator daraus? Auf Antrag der FDP-Fraktion befasste sich der Innenausschuss gestern mit dem Thema. „No-go-Areas“, stellte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) klar, „gibt es in der Stadt nicht.“ Es gebe aber „neun sehr belastete Problembereiche“, oder anders ausgedrückt: „polizeilich relevante Kieze“. Neben dem Soldiner Kiez und dem Rollbergviertel, das zusammen mit der Sonnenallee unter Neukölln-Nord subsumiert wird, gehören dazu auch das Falkenhagener Feld, die Neustadt und die Wasserstadt Spandau, die Wilhelmstadt in Mitte, der Charlottenburger und der Beusselkiez sowie Schöneberg-Nord.

Die Kriterien für diese Einordnung sind für Außenstehende nicht unbedingt nachvollziehbar. „Polizeirelevant“, bedeutet laut Körting, dass die Kieze entweder durch eine hohe Straftatenquote auffällig sind, also über dem Berliner Durchschnittswert von 7.065 Delikten pro 100.000 Einwohner liegen, oder eine auffällige Häufung von Taten als Folge von „regionalen Bezügen“ zu verzeichnen ist. Mit Letzterem sind „defizitäres Sozialverhalten“ und „Verwahrlosung“ als Begleiterscheinung von Drogen- und Alkoholsucht und häusliche Gewalt gemeint.

Der Charlottenburger Kiez – ein relativ kleines Areal rund um den Klausenerplatz, in dem neben vielen Sozialhilfeempfängern deutscher und nichtdeutscher Herkunft laut Polizei auch Akademiker, Schauspieler, Journalisten und Exhausbesetzer wohnen – hat das Prädikat „polizeirelevant“ bekommen, weil die Straßenkriminalität dort im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent gestiegen ist. Die als Vorzeigeprojekt geplante Wasserstadt Spandau, in der heute 40 bis 50 Prozent der Bewohner Sozialhilfeempfänger seien, ist laut Körting „in erster Linie“ durch gehäufte Keller- und Dachbodeneinbrüche aufgefallen. Im Beusselkiez, der durch einen hohen Ausländeranteil von 39 Prozent von sich reden mache, seien die „Trinkerszene“ und „ruhestörender Lärm“ das größte Problem.

In Schöneberg-Nord sei von allen Kiezbereichen „die höchste Pro-Kopf-Zahl“ registrierter Betäubungsmitteldelikte zu verzeichnen. Neukölln-Nord wiederum weise eine hohe Zahl von Körperverletzungs- und Raubtaten auf. Im Rollbergviertel und rund um die Sonnenallee sei zudem eine zunehmende Segregation spürbar. In einigen Bereichen seien die dort wohnenden Bosnier, Albaner, Sinti und Araber von einer Minderheit zur dominierenden Mehrheit geworden. Dabei, so Körting, sei die Tendenz zu verzeichnen, dass die einzelnen Ethnien „zunehmend unter sich bleiben“.

„Wir sitzen nicht auf einem Pulverfass“, so das Fazit des Senators. „Aber wenn wir die Lage nicht in den Griff bekommen, werden wir ein Problem bekommen.“ Nicht tolerabel sei die Tendenz bei einigen arabischen Großfamilien, Konflikte innerhalb der Clans mit eigenen Friedensstiftern zu regeln, „Deals außerhalb der Rechtsordnung zu machen und als Zeugen für die Justiz nicht zur Verfügung zu stehen“. Nicht hinnehmbar seien auch körperliche Züchtigung von Frauen und Kindern sowie Zwangsehen für Töchter.

„Das Ganze“, so Körting, „ist aber nicht nur ein polizeiliches Problem.“ Teile der Migranten seien nicht bereit, selbst zu ihrer Integration beizutragen. Fast die Hälfte aller Arbeitslosen „sind Ausländer unter 25 Jahren“. Was für eine Konsequenz daraus zu ziehen ist, sagte Körting indes nicht.