abschaffung des zivildienstes?
: Messen, Wiegen, Pinkeln

Die Grünen-Vorsitzende Angelika Beer rechnet mit einer „Vernunftentscheidung“ des Kabinetts zur Zukunft von Wehrpflicht und Zivildienst noch in diesem Jahr. Sie forderte gestern erneut die Abschaffung von beidem – bei einer Übergangszeit von drei bis vier Jahren.

Es sagt doch auch schon Verteidigungsminister Peter Struck: Die Bundeswehr soll so umstrukturiert werden, dass sie vorbereitet ist, wenn der Bundestag die Wehrpflicht kippt. Was das bedeutet: Herr Struck will sich an gar keiner Debatte mehr über die Wehrpflicht beteiligen. Er geht davon aus, dass sie abgeschafft wird. Punkt. Vorauseilenden Gehorsam nennt man so was. Oder auch: die Weiterführung der Politik mit anderen Mitteln. Denn die wenigen, die in den Parteien noch an der Bürgerarmee hängen, werden einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.

Die Bundeswehr also wird vorbereitet sein. Aber was ist mit den Bürgern, die bald ohne Uniform auskommen müssen? Brauchen Sie gar keine Vorbereitung auf ein künftig rein ziviles Leben? Wird es da nicht zu Verwerfungen kommen, wenn junge Männer nicht mehr vor die Wahl gestellt werden, ein Jahr für Zivil- oder Wehrdienst zu geben?

Natürlich wird es sie geben. Und das fängt schon ganz früh an. Werden Wehr- und Zivildienst abgeschafft, entfällt schon der Gang ins Kreiswehrersatzamt zu „Messen, Wiegen, Pinkeln“, kurz: zur Musterung.

Die ist nun wirklich eine Reihenuntersuchung, von der Männer noch zwanzig Jahre später detailliert erzählen können. Es ist ein Erlebnis, das den Adoleszenten das erste Mal mit dem schlimmen Los des Erwachsenendaseins bekannt gemacht hat. Da wird er auf einmal mit „Herr“ und seinem Nachnamen angeredet und kommt sich im folgenden Moment erniedrigter vor als nach jeder Standpauke des Fahrschullehrers.

Wie man im Grobripp mit Eingriff leicht fröstelnd in der Kabine wartet. Wie man mit zwanzig anderen dasitzt, alle den Pinkelbecher in der Hand. Wie genau die, die man mit ihrem Waschbrett-Bauch für am allertauglichsten hält, schon mit den Attesten wedeln. Wie man dann Ärzten mit schweißfeuchten Patschhänden gegenübertritt, die als medizinisches Personal in jeder Klinik ausgemustert gehörten. Nirgendwo riecht es so übel wie in diesen Behandlungszimmern, nirgendwo sind zehn Liegestütze so demütigend.

Es ist ja nicht nur so, dass die meisten Männer – fragt man sie nach ihrer Größe, was ab und zu vorkommt – nur die Zahl nennen können, die ihnen der Militärarzt vor dutzenden von Jahren angesagt hat – wir also bald in einem Land leben werden, in dem niemand über seine Körpermaße Bescheid weiß als in den Kategorien M, L oder XL. Schwerer wiegt: Es würde auch ein Haufen Heldengeschichten verloren gehen, von gelungenem Ausmusterungsbemühen, von ersten Auflehnungsversuchen gegen die Bürokraten in Weiß, von ersten Gehversuchen als mündiger Bürger also.

Dieses Depot von Legenden auszuhungern, auch da heißt Einsparung – und das ist ganz ehrlich gemeint – wieder einmal kulturelle Verarmung.

JÖRN KABISCH