Ein kleiner Tänzer in der Provinz

Der Federgewichtler Witali Tajbert ist der ungekrönte König bei der Europameisterschafts-Qualifikation der Amateurboxer und auf dem besten Weg zu seinem großen Ziel, einer Medaille bei den Olympischen Spielen in Athen

SCHWERIN taz ■ Da stand er nun in der Peripherie des Geschehens, eine schwarze Wintermütze bedeckte seinen Kopf. Witali Tajbert blickte beschwingt in den Saal, er hatte seine Arbeit bereits erledigt. Die Gefräßigkeit nach Erfolgen versteckte sich hinter einem Lächeln. Und doch wirkte der Boxer wie ein Fremdkörper in der Schweriner Volleyballhalle, die den diskreten Charme der Provinzialität an keiner Ecke verbergen konnte. Es war ein kleines Abenteuer, das der Federgewichtler in Mecklenburg zu bewältigen hatte. Zwischen dem haspelnden Moderator, den hölzern stapfenden Nummerngirls und den locker befestigten Werbeflaggen, die sich mal eben ihren Weg von der Hallendecke in den Ring bahnten. Das alles prallte an Tajbert ab, stille Erhabenheit kennzeichnete seine Körpersprache. Längst hatte er sich die Krone beim Qualifikations-Turnier für die Europameisterschaften der Amateurboxer aufgesetzt. Der kleine König genoss das Gefühl der Unantastbarkeit.

„Ich bin zufrieden“, sagte er hernach, „aber perfekt war es noch nicht.“ Natürlich nicht, Bescheidenheit ist seine Zier. Leise sprach er, so, als wären die Worte nicht für jedermann bestimmt. Die dezente Tonart steht im Kontrast zu seinen imposanten Auftritten zwischen den Seilen. Am Sonntag in Schwerin, während seines Kampfes gegen den Iren Eamon Touhey, ließ er die Fäuste hängen. Er lauerte geduldig, fahndete nach einer Lücke, tippelte wartend von Ecke zu Ecke, bis er seinen Kontrahenten überfiel – ein Tänzer in der Provinz, Ästhetik und Effizienz vereint. Souverän hatte er seine Duelle bei der Qualifikation für die EM Ende Februar in Kroatien gewonnen. Viele Freunde hat er in Mecklenburg gefunden, seinen Gegnern aber gewährte er nicht den Hauch einer Chance. Den Litauer Narkevicius, den Engländer Sykes und den Iren Touhey hatte er mühelos niedergerungen. Ohne seine Höflichkeit zu vernachlässigen. Tajbert bedankte sich für jeden Sieg: bei Trainer, Ringrichter und Gegner.

So reist Witali Tajbert als aussichtsreichster Medaillenkandidat des deutschen Teams zur EM. „Er ist unser Aushängeschild“, sagt Bundestrainer Helmut Ranze. Der zierliche Riese – Tajbert misst gerade mal 1,66 Meter und wiegt 57 Kilogramm – ist bis ins Vorzimmer von Athen gedrungen. Sollte er bei der EM ins Halbfinale einziehen, hat er sein Olympia-Ticket sicher. „Das ist mein großes Ziel. Dafür werde ich alles tun“, sagt der 21-Jährige. Er kennt das Gefühl, als Hoffnungsträger in ein großes Turnier entsandt zu werden. Bei den Weltmeisterschaften in Bangkok vergangenes Jahr war er der höchstdekorierte Athlet im Aufgebot des Deutschen Box-Verbandes. Doch die Silbermedaille genügte ihm nicht. Noch heute fuchst ihn die Niederlage im Finale.

Witali Tajbert ist ein selbstkritischer Boxer, den Trainern gefällt das. Als „loyal und bescheiden“ bezeichnet ihn Valentin Silaghi, sein Trainer am Olympiastützpunkt in Heidelberg, „er ist der Traum aller Schwiegermütter.“ Tajbert wurde in Kasachstan geboren, trotzdem ist der schwäbische Ursprung seiner Familie allgegenwärtig. Die Vorfahren Tajberts stammen aus Plochingen. Sie hatten sich im Osten Europas niedergelassen, als Russland noch ein Zarenreich war. Bis die Daibers während des Stalin-Regimes zur Umsiedlung gezwungen wurden. Die Flucht endete in Kasachstan. Als Witali zehn Jahre alt war, zog die Familie zurück nach Stuttgart, es war die Wiederkehr zu den Wurzeln.

Leisten kann es sich Witali Tajbert nicht, das strebsam erwirtschaftete Salär zu verjubeln. Seit Juli 2002 steht er in Diensten der Sportfördergruppe, sein Vertrag läuft noch vor den Olympischen Spielen aus. Vielleicht verlängert er, vielleicht wechselt er aber auch ins Profilager, zur Universum Box-Promotion. Geschäftsführer Klaus-Peter Kohl beobachtete die Auftritte Tajberts in Schwerin: „Wir wollen Charaktere, Witali hat einen starken Charakter. Sollte er in Athen gut abschneiden, werden wir versuchen, ihn in unser Team zu holen“, sagte Kohl.

Doch selbst wenn der ehemalige Druckerlehrling zum Berufsboxer befördert werden sollte, das Fundament für eine prosperierende Laufbahn lässt sich im Federgewicht nur schwer errichten. Im Vergleich zu den Klitschkos wäre er eine arme Kirchenmaus. „Ich bin nicht traurig, ein kleiner Mensch zu sein. Ich brauche keine zehn Millionen für einen Kampf“, sagt Tajbert. Und dann berichtet er von seinem Urgroßvater. In den Jahren der Angst und des Hungerleidens habe der stets die Vorteile kleiner Männer gerühmt. Man könne sparsamer leben. Und brauche nicht so viel essen.

RONNY BLASCHKE