„Die Flausen sind aus dem Kopf“

Die alternative Kölner Stunksitzung ist mit ihren Millionenumsätzen auch ein gutes Geschäft. Jetzt braucht sie einen Unternehmensberater. Die Macher Winni Rau und Didi Jünemann über Anflüge von Sinnkrise und Expansionsgedanken

Interview BERND MÜLLENDER

taz: Dieses Jahr steht der Mond verdiensttechnisch besonders günstig: Spätes Ostern bedeutet späten Karneval, das heißt, es gibt eine lange Session mit vielen Sitzungen – 46 genau.

Winni Rau: Ja, das ist Rekord.

Und Big Business. 46 mal 1.000 Zuschauer macht bei 28 Euro Eintritt …

Rau: … kann jeder ausrechnen: gut 1,2 Millionen Euro Umsatz. Dazu kommt das Fernsehen.

Die Stunker verdienen also gutes Geld?

Didi Jünemann: Leider nicht. Wir arbeiten nicht an 46 Abenden, sondern tatsächlich fast ein halbes Jahr. Die Proben gingen oft bis nachts um drei. 35 Leute braucht es jeden Abend, damit das künstlerische Programm läuft. Von den Kosten haben wir noch gar nicht gesprochen. Aber uns freut, dass uns keine Kulturämter reinreden. Wir kriegen keine Subventionen.

Deshalb war jetzt ein Unternehmensberater nötig – wenig typisch für ein Kulturprojekt.

Rau: Die Idee speiste sich aus zwei Quellen. Wir haben nie Kostenmanagement gemacht. Alles, was irgendwie notwendig schien, wurde immer in die Produktion investiert. Wenn einer sagte, ich brauch das Superkostüm oder diese riesige Requisite, dann wurde das gebaut von teuren Spezialisten, Handarbeit. Und wenn es 5.000 Euro kostete. Jetzt haben wir ein bisschen internes Controlling. Wichtiger war nach 20 Jahren: Wie lange machen wir das noch? Was ist die Perspektive? Oder was kann man verändern? Und da haben wir uns an die Firma Culturplan in Krefeld gewandt.

Gab es eine Sinnkrise?

Jünemann: Nicht Sinnkrise. Aber wir brauchten eine intensive Standortbestimmung. Es ging darum, ob man nicht neue Leute, auch jüngere, dazuholt, um diesen Megaschlauch abzuschwächen, dem wir uns aussetzen. Es geisterten immer neue Vermarktungsideen herum.

Was für Ideen? Stunk das ganze Jahr? Stunk auf Tournee – an der holländischen Küste vielleicht, wohin Karnevalsmuffel gerne fliehen?

Jünemann: Tatsächlich auch das. Und Stunk als Film. Stunk als Fernsehcomedy. Oder Ableger gründen: Stünklinge.

Rau: Es haben schon Agenturen angefragt: Tournee quer durchs Ruhrgebiet, ist bestimmt ständig ausverkauft … Unser Problem ist: Wir wissen ja nicht mal, wie viele Karten wir in Köln verkaufen könnten, vielleicht doppelt so viele, viermal so viele? Die 46.000 dieses Jahr waren wieder in einer halben Stunde weg, für Karnevalsamstag werden bei eBay schon 100 Euro geboten. Es war sehr hilfreich, sich mit Culturplan-Chef Peter Vermeulen als Moderator ein paar Wochenenden gemeinsam hinzusetzen. Der hat die Zuschauer-Potenziale in Köln sogar auf das Zehnfache geschätzt. Natürlich denkt man da: boah, wWenn man das abschöpfen könnte!

Und, wie wird geschöpft?

Rau: Langsam. Es gab lange schon die Idee, in eine größere Halle zu gehen. Womöglich eine eigene Halle zu bauen, ganz ernsthaft. Aber das war bald als spinnerte Idee entlarvt, so toll die Vorstellung war, da auch eigene andere Theaterprojekte zu machen und selbst weiter zu vermieten. Ergebnis der Analyse war: Wahrscheinlich würden auch erhebliche Mehreinnahmen von den Kosten aufgefressen. Für eine Halle für 2.000 Leute hat Köln keinen Markt.

Also bleibt alles beim Alten?

Jünemann: Also konzentrieren wir uns auf das, was wir am besten können: Stunk, wie es war und ist.

Rau: Es ist sehr schlau, das Produkt Stunksitzung knapp zu halten. Ein wichtiger Nimbus: Wir leben ja auch davon, dass es heißt: Stunk, da kriegste kaum Karten, es sei denn, du kennst jemanden, der einen kennt.

Jünemann: Stunksitzungskarten sind in Köln mittlerweile wie eine eigene Währung.

Rau: Oder man muss sich sehr sorgfältig kümmern. Auch gute Sommersitzungen können nach hinten losgehen, dass die Leute sagen: war nett, kann man machen, muss aber nicht. Oder wir wären ein paar Mal in Dormagen vor halb voller Halle. Da ist es mir lieber, die Dormagener kloppen sich hier um die Karnevalskarten. Unser Image ist wichtig. Das haben wir gelernt.

Manche Stunker sind über 50. Geht es weiter, bis die ersten im Rollstuhl auf die Bühne geschoben werden müssen?

Jünemann: Die Spannweite ist schon breiter, ab Anfang 30. Aber über die langfristige Zukunft gibt es bei uns zwei Strömungen. Die einen sagen: Stunk ist eine geniale Erfindung, die Köln noch in hundert Jahren genießen wird, wenn sie beizeiten in andere Hände gegeben wird. Andere sagen: Stunksitzung ist unser Ding. Lass uns, die Erfinder, damit und mit unserem Publikum alt werden.