Europa schielt in alle Richtungen

Die EU-Wunschliste für die Liberalisierung von Dienstleistungen liegt jetzt vor

109 WTO-Mitgliedsländer sind für europäische Firmen interessant

BERLIN taz ■ Allmählich werden die WTO-Verhandlungen transparenter. Letzte Woche war durchgesickert, in welchen Bereichen die Europäische Union freien Handel mit Dienstleistungen in Europa anbieten will. Jetzt steht die detaillierte Liste der EU-Forderungen im Internet. Daraus geht hervor, dass die EU von 109 Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) Liberalisierungen verlangt.

Dass die Liste bisher unter Verschluss blieb, gehört zum normalen Prozedere der WTO. Alle 142 Mitgliedsländer müssen sich erst auf einen Entwurf einigen, bevor die nationalen Parlamente darüber abstimmen dürfen. Für das Dienstleistungsabkommen ist 2004 als Deadline anvisiert. Am 1. Januar 2005 soll „Gats 2000“ in Kraft treten. Dem Katalog zufolge haben europäische Firmen ein Interesse an der Liberalisierung von „Umwelt- und Finanzdienstleistungen, Tourismussektor, Energieversorgung, Telekommunikation und Transport“, beispielsweise in El Salvador. Und an Nachrichtenagenturen, Kurierdiensten, dem Energiesektor und Umweltdienstleistungen wie Abwasser- und Müllentsorgung, wo sie etwa Indien im Visier haben.

Liberalisierung bedeutet, dass private Unternehmen künftig auch dort zugelassen werden müssen, wo Dienstleistungen bisher bei den Kommunen lagen. Theoretisch würden dann alle Bieter gleich behandelt: Die ausschreibende Kommune müsste den Zuschlag nach rein wirtschaftlichen Kriterien vergeben. Subventionen, die bisher öffentlichen Einrichtungen wie Theatern und Schulen vorbehalten waren, müssten auf alle verteilt werden. In der Praxis jedoch behält sich zumindest die EU für ihre eigenen Dienstleistungen Ausnahmen vor. So kann für bestimmte Bereiche der „öffentliche Nutzen“ deklariert und eine Ausnahme gestattet werden.

Dieses Ungleichgewicht zwischen liberalisierungsscheuer EU und Entwicklungsländern, von denen weit reichende Liberalisierungen erwartet werden, hatte sein Vorspiel, meint Thomas Fritz, Koordinator der Gats-Kampagne des Attac-Bündnisses: „Die EU hat in der ersten Liberalisierungsrunde 1995 weit reichende Zugeständnisse gemacht. Jetzt sind die Entwicklungsländer dran.“ Denen fehlt aber oft das Knowhow, das komplizierte Gats-Regelwerk überhaupt zu durchschauen. Hinzu kommt, dass Dienstleistungen wie Telefon- oder Stromnetz nie wirklich funktioniert haben und daher leicht von ausländischen Firmen übernommen werden können, ohne dass man sich im Land der Folgen bewusst ist.

Ein besonders heikles Thema ist die Wasserversorgung: Zwar taucht das Wort explizit in keiner der Forderungen auf. Doch laut Fritz subsumiert die EU die Wasserversorgung unter Umweltdienstleistungen. Und hier stellt sie Forderungen an 72 WTO-Länder. Angeblich machen sich Frankreich und Großbritannien stark, den Wassersektor auch in der EU zu liberalisieren. Im Entwurf steht davon nichts.

Für problematisch hält Fritz außerdem die Forderungen im Finanzbereich. „Da wird von Thailand verlangt, auch Banken ins Land zu lassen, die ihre Zulassung lediglich in Steuerparadiesen haben, wo sie kaum einer Kontrolle unterliegen.“ Von Malaysia wünscht die EU, dass Kapitalkontrollen künftig unterbleiben. Das Land hatte sich Ende der 90er-Jahre vor der Finanzkrise in Asien weitgehend retten können, indem es den Kapitalabzug aus dem Land verbot. So etwas, fürchten WTO-Verhandler, wäre für Firmen, die künftig in Malaysia in Dienstleistungen investieren wollen, ein abschreckendes Signal. KATHARINA KOUFENAktuelle Liste: www.polarisinstitute.org