NRW-Bürger weltweit online

Im neuen elektronischen Melderegister in NRW ist jeder Bürger und jede Bürgerin innerhalb von Sekunden weltweit aufzuspüren. Nur ein schriftlicher Widerspruch verhindert die Datenweitergabe

Firmen suchen Zahlungssäumige – nur 0,5 Prozent der Anfragen kommen von Privatpersonen

VON ANNIKA JOERES

Ab März gehen alle EinwohnerInnen in Nordrhein-Westfalen ungewollt online: Im elektronischen Melderegister sollen die Adressen jedes Bürgers und jeder Bürgerin gespeichert und von Privatpersonen und Firmen weltweit übers Internet abgerufen werden können. „Das ist unser wichtigstes Vorhaben in der E-government-Strategie“, sagt Innenminister Fritz Behrens (SPD). Das Angebot sei beispielsweise für die Organisation von Klassentreffen interessant, aber auch für Inkasso-Unternehmen, die säumige Zahler suchten. „Datenschutz hat bei diesem Verfahren höchste Priorität“, sagt Behrens.

Das glaubt nur der Innenminister. „Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen“, sagt Bettina Gayk, Sprecherin der Landesbeauftragten für Datenschutz. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei gefährdet. „Wir hätten uns gewünscht, dass nur diejenigen Personen gespeichert werden, die auch eingewilligt haben“, sagt Gayk. Erfahrungsgemäß würden nur wenige BürgerInnen ihr Widerspruchsrecht kennen und davon Gebrauch machen.

„Datenschutzpolitisch ist das Projekt eine Katatrophe“, sagt auch Rena Tangens vom Bielefelder Verein FoeBuD. Der Verein vergibt den jährlichen Big Brother Award, einen Negativpreis für Verstöße gegen den Datenschutz. „Das elektronische Melderegister ist eine „versteckte Unternehmensförderung“, sagt Tangens. „Es nützt vor allem Firmen, die ganze Datenpakete ordern“. NRW hätte den Zugriff so regeln sollen wie Schleswig-Holstein: Dort können nur BürgerInnen und Behörden das Register benutzen.

Die einzige Chance der 18 Millionen EinwohnerInnen in NRW ihrer Datenweitergabe zu entgehen, ist ein schriftlicher Widerspruch. Vorerst betrifft dass nur BürgerInnen in den fünf Modellstädten Hagen, Dortmund, Recklinghausen, Moers und Duisburg. Wenn das Pilotprojekt erfolgreich verläuft, soll jede Stadt die Daten ihrer BürgerInnen abliefern. Ob die NRW-BürgerInnen auch in Zukunft so gläsern sein werden, kann Dagmar Pelzer vom NRW-Innenministerium nicht sagen. „Wir gucken erst, ob die Praxis etwas taugt.“ Und überhaupt sei in Bayern alles noch viel schlimmer: Dort würden die Daten nicht mehr in der Kommune bleiben, sondern landesweit gesammelt.

Auch in NRW gibt es eine Schaltzentrale, sie soll in Dortmund liegen. Der dortige Rechner sammelt zwar wie sein bayerisches Modell alle Anfragen, er ruft die Ergebnisse allerdings bei den einzelnen Einwohnermeldeämtern ab und gibt sie erst danach gebündelt weiter.

Bisher erteilen die Einwohnermeldeämter in Nordrhein-Westfalen jährlich rund 7,5 Millionen Auskünfte. Die elektronische Auskunft werde voraussichtlich vier Euro kosten, so Pelzer vom Innenministerium. „Das ist ein großartiger Service für unsere Bürger und Bürgerinnen.“ Wahrscheinlich werden sich aber vor allem Firmen über das Melderegister freuen: Heute wird die Auskunft beim Meldeamt vor allem von Unternehmen genutzt, die zahlunsgssäumige KundInnen suchen. Das von Behrens beschworene Klassentreffen interessiert anscheinend nur wenige: Nur 0,5 Prozent der Anfragen kamen von Privatpersonen.