Geschichte mit halbgaren Thesen

Egon Bahr stellt in der Kölner Königin-Luise-Schule sein neues Buch „Der deutsche Weg“ vor. Kritik wischt der SPD-Mann nonchalant beiseite. Und zum Kosovo-Krieg hat er seine ganz eigene Version

VON SEBASTIAN SEDLMAYR

Von Egon Bahr genügt ein spitzbübisches Grinsen und schon ist ihm niemand mehr böse wegen seiner halbgaren Thesen. Vielleicht zeichnet diese Nonchalance einen erfolgreichen Spitzendiplomaten aus. Ganz sicher bewahrte sie – aber auch das hauptsächlich aus Sozialdemokraten bestehende Publikum – den 1922 geborenen SPD-Außenpolitiker am Montag Abend in Köln davor, sich ernsthaft möglicher Angriffe erwehren zu müssen, die sein neuestes Buch „Der deutsche Weg“ provozieren kann. Auf Einladung des Kölner SPD-Bundestagsabgeordneten Martin Dörmann stellte Bahr das Buch in der Aula der Königin-Luise-Schule vor.

Bahr schreibt darin, dass Deutschland sich endlich seiner eigenen Interessen vergewissern und eine Strategie entwickeln müsse, um sie im integrierten Europa durchzusetzen. Und er schreibt im Zuge dessen über die Fliehkräfte, die Europa in Zukunft weiter von den USA entfernen und entfremden werden: „Amerika befindet sich im Krieg. Europa nicht.“ Der „Erfinder der Ostpolitik“ möchte eine neue „Arbeitsteilung“ zwischen der einzigen Weltmacht und der EU: Letztere solle mit „präventiver Diplomatie“ Konflikte ausräumen. „Und wenn das nicht funktioniert, steht da immer noch Amerika mit seinem großen Knüppel.“ Trotzdem forderte Bahr am Montag in Köln „eine europäische Armee“. Denn: „Es kann kein wirkliches politisches Gewicht geben ohne die Möglichkeit, auch militärisch einzugreifen.“

Die Buchvorstellung war gleichzeitig eine Geschichtsstunde für die anwesenden Schüler. Doch was sie zu hören bekamen, war zum Teil etwas merkwürdig, zum Beispiel wenn Bahr versuchte, den Kosovo-Krieg als Betriebsunfall einer unerfahrenen Regierung hinzustellen: „Den Krieg haben wir geerbt von der Vorgängerregierung.“ Als Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer von ihrem Antrittsbesuch aus den USA zurück kamen, hätten sie die Zusage Bill Clintons gehabt, sich nicht an einem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien beteiligen zu müssen. „Drei Tage später kam ein Anruf aus Washington. Es hieß, Belgrad nehme die Drohung der Nato nicht ernst ohne die militärische Beteiligung Deutschlands.“ Nach Bahrs Fassung musste die deutsche Regierung nun „Militär stellen, um den Nato-Einsatz zu verhindern“. Der im Oktober 1998 gefasste Bundestagsbeschluss sei vor Kriegsbeginn im März 1999 nicht nochmal abgefragt worden. „So schlidderten wir in diesen Krieg“, sagte Bahr. Kein Wort von der „humanitären Katastrophe“ oder Scharpings „Hufeisenplan“, mit dem damals die deutsche Kriegsbeteiligung gerechtfertigt wurde.

Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Konny Gilges, geachtet für sein idealistisches Verständnis von Außenpolitik, warf dem Realpolitiker Bahr zum Ende der zweistündigen Diskussion vor, er mogle sich an einer entscheidenden Frage vorbei: Wie wird und wie soll der anschwellende Konflikt zwischen den USA und Europa beigelegt werden, der langfristig sogar eine militärische Dimension annehmen könnte? „Wer Angst hat, soll in der Tat Vasall bleiben“, war Bahrs barsche Antwort.

Außer Gilges war der Einzige, der Bahr wenigstens ein bisschen Paroli bot, WDR-Intendant Fritz Pleitgen. Mit seinem Vorschlag, den heiklen Begriff vom „deutschen“ in „unseren Weg“ umzubenennen, traf er zwar nicht den Kern des Problems, das diese völkische Formulierung mit dem impliziten Postulat eigener weltpolitischer Größe darstellt. Doch Pleitgen, der als Interviewer neben Bahr auf dem Podium saß, hatte nach zweimaligem Nachfragen, warum denn nun unbedingt der „deutsche Weg“ so wichtig sei, auch keine Lust mehr. Denn Bahr tat sämtliche Alternativvorschläge mit einem Schulterzucken ab: „Ich hätte auch schreiben können: ,Der deutsche Weg in Europa‘. Aber das wäre langweilig.“ Über die tieferen politischen Beweggründe muss man da nicht mehr sprechen.

Egon Bahr: Der deutsche Weg, Karl Blessing Verlag, München 2003, ISBN 3-89667-244-4, 12 Euro