Endlich foltern!

Helgoland – das schreckliche Geheimnis einer Insel im diesigen Januar (Teil 2)

Was bisher geschah: Helgoland-Bewohner Enno Hinrichs berichtet von seltsamen nächtlichen Vorgängen auf der Insel. Hans Grünhagen von der Nordsee-Zeitung weiß, dass Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm etwas mit den Aktivitäten zu tun hat. Fred Feddersens Propellermaschine wurde über Helgoland beschossen.

Hans Grünhagen hatte den Vorschlag des CDU-Politikers Schönbohm, Folter unter bestimmten Bedingungen zuzulassen, längst vergessen. Dann kam im Dezember das Paket, kurz vor Nikolaus. Es enthielt zwei Leitz-Ordner mit Memoranden, Karten, Tortendiagrammen, Tabellen, Gutachten und einer Power-Point-Präsentation. Grünhagen hielt es für Fälschungen. „Da will uns jemand reinlegen, habe ich gedacht“, sagt er.

Er zieht einen Ordner aus dem Aktenschrank. „Hier, die Stempel. Streng vertraulich. Wenn man daran reibt, verwischt die Tinte. Und die Unterschrift von Schönbohm: Berlin, den 23. Mai 2003, Schönbohm.“ Ihm wurde das Paket an seine Privatadresse zugestellt. Kein Absender, kein beiliegender Brief, nichts. Aufgegeben in Frankfurt, auf dem Hauptpostamt. Herkunft der Akten laut Aufdruck: „Planungsgruppe 6, Hauptabteilung IV, Referat für Terrorismusbekämpfung im Innenministerium“.

In den Akten ist detailliert Aufbau und Aufgabe eines Forschungszentrums beschrieben, das die Folter wissenschaftlich untersucht, um sie später bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und anderer „nicht einschätzbarer Gefahrenlagen“ einsetzen zu können. In der Präambel (Überschrift: „Folter als Diskurspraxis“) heißt es wörtlich: „Ziel des Instituts ist es, die Folter als modernes Instrument der Delinquenten-Befragung auf der Basis des Grundgesetzes nutzbar zu machen. Voraussetzung ist eine streng wissenschaftliche Untersuchung über Mittel, Methoden und Ergebnisse der Folter. Die Untersuchung soll zu einer effektiven Folterpraxis beitragen, die unnötige Härten vermeiden hilft.“

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Nennen wir ihn Krämer. Oder Kaufmann. Er will nicht, dass sein Name in der Zeitung steht. Er hat schon genug Ärger. Nachts rufen alte Kollegen an und drohen ihm. Sein Hund ist vergiftet worden. Er lebt von Arbeitslosenhilfe. Die Nachmittage verbringt er in der „Rathausschenke“. Er wirft Münzen in die Jukebox. Am liebsten hört er Rolling Stones. Oder BAP. Oder Heinz Rudolf Kunze. Er hat auch gegen den Irakkrieg demonstriert.

Kaufmann redet leise, verdeckt seinen Mund mit der Hand, als hätte er Angst, jemand könnte Lippen lesen. Er sieht zur Tür, während er spricht. „Ich komme aus Schwedt“, sagt er, „da gab es nichts mehr zu tun. Das Haus, die Platte, in der ich gewohnt habe, stand leer, ich war der letzte Mieter. Sonst sind alle raus. Gespenstisch war das. Ich wär fast bekloppt geworden. Da bin ich lieber weg. Das erstbeste Angebot genommen und weg. So kam ich nach Helgoland.“

Er sagt, er hätte nicht gewusst, worauf er sich einlässt. In der Anzeige stand: Suchen tierliebe Menschen, die zupacken können. Tierlieb war Kaufmann immer. Sein Vater hatte eine Hundezucht, Collies, die waren was ganz Besonderes im Osten, aber manchmal musste Papi auch Welpen gegen die Wand werfen, wenn es zu viele wurden. Die haben gejault, die Welpen, als hätten sie es gewusst, erzählt Kaufmann. Das hätte er heute noch im Ohr. Aber was sollte Papi machen? War eben notwendig.

Kaufmann ist dann Möbelpacker geworden, bis zur Wende. Auf Helgoland haben sie mit Elektroschocks begonnen. Papageienschaukel. Daumenschraube. Zuerst Tests mit kleinen Tieren: Hamster, Ratten und Mäuse. Für die Mäuse haben sie einen elektrischen Stuhl gebaut aus Legosteinen. Dann haben sie mit größeren Tieren wie Hunden und Katzen weitergemacht. Zuletzt die Affen. Ihren Schweiß gemessen, Herzschlag und Blutdruck, während sie auf der Streckbank lagen und ihre Körper in Stücke gerissen wurden.

Trotzdem: Er mochte seine Arbeit irgendwie, und die Kollegen waren schwer in Ordnung. „Wir waren eine gute Truppe“, sagt Kaufmann. „Das war nicht nur Arbeit für uns. Das war Dienst. Wir sind immer sauber geblieben.“ Er bestellt noch ein Bier. Steht auf, wirft eine Münze in die Juke Box. „Sailing“ von Rod Steward.

Wahrscheinlich wäre er immer noch in Helgoland, wenn nicht der Traum aufgekommen wäre. Das war nach einem halben Jahr. Im November. Nicht nur Kaufmann hatte ihn, auch alle anderen. Die Ärzte, Physiker, Verhaltensforscher, Tierwärter, selbst der Hausmeister träumte diesen seltsamen Traum: ein Mensch. Einmal einen richtigen Menschen vor sich haben. Einmal jemanden, bei dem man nicht nur Hirnströme und Pulsfrequenzen misst, sondern der Auskunft geben kann. Reden kann. Der Bericht abliefert. Nach der Folter. Ein Mensch! Da hat er Angst bekommen. Jetzt lebt Kaufmann in Freiburg, Breisgau. Zweimal die Woche geht er zu einem Therapeuten. Er hat Affen in den Abgrund gestürzt. Der argentinische Köpper. Seine Zukunft ist trostlos. Vielleicht Collies züchten. VOLKER HEISE

Fortsetzung morgen