Verlogene Toleranz

betr.: „Nur das Kopftuch ist politisch“, taz vom 8. 1. 04, „Kein Kopftuch. Keine Kippa. Kein Kreuz“, Kommentar von Cosima Schmitt, taz vom 5. 1. 04

„Niedersachsens Regierung will allein Kreuz und Kippa an den Schulen dulden“? Das Kreuz ist viel politischer: Es ist das Symbol der C-Parteien; deren größter politischer Stuss wird mit diesem Symbol begründet – bis hin zu Rangeleien mit dem Bundesverfassungsgericht (s. Kruzifixurteile). Gerade jene niedersächsische Regierung selbst verfolgt doch ihre ganze Politik im Namen Christi!

KLAUS BUGGISCH, Karlsruhe

Mehr als Kopftücher beunruhigen mich die Käppis, Barette und Helme von Soldaten auf unseren Straßen. Uniformierte Offiziere der Bundeswehr streben in die Schulen, um dort für Wehrpflicht und Bundeswehr zu werben. Die Uniformverhüllten tragen damit zur Militarisierung der Gesellschaft bei, was nun wirklich ein Übel ist und das nicht nur ich als Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft beendet sehen möchte.

Den Spruch von Kardinal Ratzinger („Durch das Kreuz wird niemand beleidigt und niemandem Gewalt angetan“) haben der ans Kreuz geschlagene Christus und die unter dem Kreuz Zwangsgetauften ganz anders erlebt, wie die Glosse „Verboten“ in der taz richtig stellt. ERNST BUSCHE, Bremen

Es liegt in der Natur der säkularen Republik, dass eben keine weltanschauliche Neutralität, sondern „nur“ Loyalität zur freiheitlichen und demokratischen Gesellschafts- und Staatsordnung gefordert ist. Im Unterschied zur laizistischen Französischen Republik akzeptiert die deutsche Verfassung Religion und individuelle Weltanschauung aber nicht nur als Teil der Privatsphäre (das ist auch in Frankreich der Fall), sondern ausdrücklich als Teil des öffentlichen Lebens. Daraus folgt logisch, dass es gestattet sein muss, die jeweilige religiöse Überzeugung auch im öffentlichen Dienst, als Beamter/in oder als Staatsbedienstete/r zu leben und auszudrücken. Begrenzt wird diese Freiheit lediglich durch das Loyalitätsgebot zur Verfassungsordnung und – frei nach Kant – durch die Privatsphäre der anderen, beispielsweise der Schüler/innen. Das bedeutet, dass sich Lehrer/innen zwar zurückhalten, ihre Überzeugung aber nicht verbergen sollten. […]

Sicherlich besteht die Gefahr, dass Symbole im Unterricht (nicht nur religiöse) zur Indoktrination oder gar zur Aufwiegelung gegen die Verfassung missbraucht werden. Dieser Gefahr müssen die Eltern begegnen, nicht der Gesetzgeber. Eltern müssen sich mit den Unterrichtsinhalten ihrer Kinder beschäftigen und gegebenenfalls ihrer Verantwortung als Bürger/innen dadurch gerecht werden, dass sie intervenieren, wenn Lehrer/innen Ideologie statt Wissen und die Fähigkeit zu eigenständigem Denken vermitteln. […]

ROLAND BÖSKER, Bremen

Ich habe schon vor einiger Zeit die (bislang unbeantwortete) Frage gestellt, wie viele Lehrer denn in öffentlichen Schulen Kippa tragen. Ich kenne keinen. Auch meine Söhne, beide religiös erzogen, haben in der Schule nie Kippa getragen. Also, warum wird hier immer mit dem (für Gutmenschen typischen) Gleichheitsgrundsatz operiert, wo es keinen Anlass für diese Gleichheit gibt. Und das noch in einem Umfeld hierzulande, in dem, wenn es denn jemanden gibt, der in der Öffentlichkeit wagt, seinen Kopf mit einer Kippa zu zieren, dieser Gefahr läuft, von Neonazis, mehr aber und wahrscheinlicher noch von Muslimen jeden Alters „eins in die Fresse“ zu bekommen.

Bei meinem damals 16-jährigen Sohn Rafael bedurfte es nicht mal einer Kippa oder eines „Davidsterns“, sondern alleine der Kenntnis aus der (öffentlichen) Schule, dass er jüdisch ist, um ihn durch die Bensheimer Innenstadt, als „Judensau“ tituliert, zu treiben. So geschehen vor zwei Jahren, durchgeführt von muslimischen Jugendlichen deutscher Nationalität. (Siehe seinerzeitige Berichterstattung im Bergsträßer Anzeiger, Bensheim.) Ergänzen möchte ich noch, dass ich diesen Vorfall von einem Freund mehrere Wochen später erfuhr, weil mein Sohn mir dies aus Scham verschwieg. Darüber zu sprechen, entspricht mittlerweile aber nicht mehr der „Political Correctness“, deshalb ist es opportuner, die Gleichheit der Religionen und die staatliche Neutralität zu beschwören, die es aber in diesem Lande schon lange nicht mehr gibt, seit eine verlogene Toleranz alle Wege zur Duldung von gesellschaftlicher und religiöser Intoleranz geöffnet hat. RAINER DAVID W. FRÜH, Mainz

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