WAHLEN IM IRAN: TROTZ ZENSUR EIN WICHTIGES REFORMINSTRUMENT
: Boykott nutzt den Falschen

Die Wahlen im Iran werden von der Frage beherrscht, ob eine Beteiligung an ihnen überhaupt sinnvoll ist – oder ob sie boykottiert werden sollen. Wer gegen den Urnengang ist, argumentiert, dass eine Wahl nicht frei sei, wenn zuvor alle Kandidaten vom konservativen Wächterrat gesiebt wurden. Durch die Teilnahme legitimiere man, dass die Konservativen ihre absolute Macht ausbauen – das endgültige Ende der Reformen von oben.

Die Argumente der Gegner eines Wahlboykotts wiegen aber schwerer: Sie meinen, die Konservativen könnten trotz aller Zensur nicht verhindern, dass einige Vertreter der Reformbewegung doch noch den Einzug ins Parlament schaffen. Selbst als kleine Minderheit könnten sie dort ihre Stimme erheben und dadurch Friedhofsruhe und totale Willkür im Land verhindern.

Wären die Reformer um Präsident Chatami tatsächlich für die Konfrontation mit den Konservativen gerüstet, könnte ein Wahlboykott vermutlich zu der endgültigen Entscheidung führen, nach der sich das Volk seit Jahren sehnt. Aber die Reformer sind für diesen Kampf nicht vorbereitet, sie haben sich und ihre mehr als zwanzig Millionen Wähler nicht organisiert. Die gesamte „Front Zweiter Chordad“, in der die Reformer versammelt sind, ist ein loses Bündnis. Wohl nicht alle Reformkandidaten und auch nicht alle ihre Wähler würden einem Boykottaufruf folgen. So fände die Wahl trotzdem statt, und der Stimmanteil der Konservativen nähme entsprechend zu.

Zu den wichtigsten Argumenten gegen den Wahlboykott gehört aber die Rolle, die Präsident Chatami in dieser Krise spielt. In seiner Amtszeit ist er jeder direkten Konfrontation mit den Konservativen aus dem Weg gegangen, weil er allgemeine Unruhen vermeiden will oder den Sturz des gesamten Systems befürchtet. Daher ist kaum vorstellbar, dass er einen Boykott unterstützen oder gar mit dem gesamten Kabinett zurücktreten würde. In Anbetracht dieser Umstände sollten Wahl und Parlament als Kampfinstrument begriffen werden, die trotz rigoroser Zensur nicht aus der Hand gegeben werden sollten. BAHMAN NIRUMAND