Streiks gegen Berlusconi und Gewerkschaften

In Italien fühlen sich Bus- und Straßenbahnfahrer von der Regierung betrogen und den Gewerkschaften nicht vertreten

ROM taz ■ Eine mysteriöse Epidemie grassiert unter den Fahrern der Mailänder Verkehrsbetriebe: Am Montag meldeten sich 20 Prozent, gestern gar 25 Prozent dienstunfähig. Das hätte schon gereicht, um den öffentlichen Nahverkehr zu stören. Doch auch die anderen Kollegen fuhren meist nicht, sondern trafen sich in den Depots zur „assemblea permanente“, zur „permanenten Betriebsversammlung“. Die Fahrer sind in einem „wilden“ Streik. Selbst die vom Präfekten Mailands verfügte Dienstverpflichtung änderte nichts, dabei riskieren Streikende jetzt schwere Sanktionen, beginnend bei hohen Geldbußen.

Mailands Verkehr brach völlig zusammen. Viele erreichten Arbeits- oder Ausbildungsstellen nur zu Fuß, mit großer Verspätung oder kehrten unverrichteter Dinge nach Hause zurück. Neben lautstarkem Protest an den Metro-Stationen gegen die Streikenden war von Bürgern auch viel Verständnis zu hören. Denn die Angestellten der öffentlichen Verkehrsbetriebe Mailand fühlen sich nicht nur von der Regierung betrogen, sondern auch von den eigenen Gewerkschaften nicht vertreten.

Erst kurz vor Weihnachten hatte die Regierung landesweit eine Lohnanpassung von 81 Euro gewährt und damit gegen die von ihr selbst hochgehaltenen Tarifrichtlinien zur Anpassung der Gehälter an die Inflation verstoßen. Danach nämlich hätte die Erhöhung schon vor zwei Jahren erfolgen und etwa 106 Euro betragen müssen. Selbst das Zugeständnis von 81 Euro erfolgte erst nach einem „wilden“ Streik in Mailand, Genua und anderen Städten. Angesichts der bescheidenen wie verspäteten Erhöhung, die die Gewerkschaften aushandelten, machte sich unter Bus- und Straßenbahnfahrern Erbitterung breit. Sie müssen mit 850 bis 1.200 Euro im Monat auskommen, wobei die Preise in Mailand über denen deutscher Metropolen liegen. Da interessiert die Fahrer kaum, dass viele Verkehrsbetriebe hohe Schulden haben.

Die Regierung zeigt sich hart. Am Vertrag werde nicht mehr gerüttelt, so das Arbeitsministerium, der Streik sei jetzt Sache der Gerichte. Damit wird es für die großen Gewerkschaften schwierig, die jetzt völlig isoliert sind. Ihr Aufruf, die geltenden Streikregeln einzuhalten, wird ihre Isolation verstärken, wenn es zum Flächenbrand kommt: Am Montag wurden auch die Verkehrsbetriebe in Genua bestreikt, am Dienstag in Monza und Bergamo. MICHAEL BRAUN