Patienten kommen zaghaft an die Macht

Im „Gemeinsamen Bundesausschuss“ zur Gesundheitsreform sitzen nun erstmals auch Patientenvertreter

BERLIN taz ■ Dutzende Details der Gesundheitsreform harren noch der Klärung: Wer darf etwa demnächst als „chronisch krank“ gelten und muss demzufolge weniger für Medikamente und Praxisgebühr bezahlen? Oder wer ist als so krank einzustufen, dass er zum Arzt gefahren werden muss und die Kosten auf keinen Fall selbst tragen kann?

Gestern nun stellte sich das Gremium vor, das diese Fragen so bald wie möglich beantworten will. Der „Gemeinsame Bundesausschuss“ (GBA) beerbt den „Bundesausschuss Ärzte/Krankenkassen“.

Dieser besteht aus Vertretern der Ärzte, Krankenkassen, Krankenhäuser und – ganz neu – Patienten. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sagte, es werde „zur Regel werden, dass kranke Menschen in Entscheidungen mit einbezogen werden“. Das sorge auch für mehr „Transparenz“.

Auf das Thema Transparenz ging der neue Chef des Ausschusses, Rainer Hess, gar nicht erst ein, bezeichnete aber die neue Zusammensetzung des GBA als „Zäsur“.

Hess war bislang Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), betonte gestern jedoch seine neu erlangte „Unabhängigkeit“.

Die Patientenvertreterin Hannelore Loskill von der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte erklärte auf die Frage, wie sie im „Haifischbecken“ GBA zu überleben gedenke: „Bisher hat mich noch keiner gebissen. Aber wir haben ja auch noch nicht getagt.“ Jahrelang hatten sich vor allem Patienteninitiativen mit dem Bundesausschuss gestritten.

Der Ausschuss war seit je eines der geheimnisvollsten Gremien im ganzen Gesundheitswesen. Ausgestattet mit der Macht zu sagen, was die Krankenkassen bezahlen, war der Ausschuss doch nie bereit, seine Entscheidungen zu erläutern.

Das Ministerium selbst nannte den Ausschuss neulich ein „schwarzes Loch“. Der bisherige Chef des Ausschusses, Karl Jung, hat alles getan, die Patientenbeteiligung auf bloßes Beratungsrecht zu beschränken. Er erklärte der taz gestern düster: „Als Nächstes werden sie auch Stimmrecht verlangen, das ist absehbar.“

Die aufgewerteten Patientengruppen wirken vorläufig nicht so, als wollten sie nun die Macht im Gesundheitssystem übernehmen. Gregor Bornes, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft PatientInnenstellen, sagte gestern zur taz: „Ich bin heilfroh, dass wir nur beratende Stimmen haben.“

Ob es den Patientenvertretern gelingt, aus dem „schwarzen Loch“ ein transparentes Gremium zu machen, ist durchaus noch offen: Sie sind zur Geheimhaltung verdonnert.

Alle Patientenvertreter im neuen Ausschuss erklären jedoch, sie seien unabhängig von der Pharmaindustrie. Diese nutzt zum Beispiel in den USA gerne den moralischen Einfluss von Patienteninitiativen, um Medikamente in den Markt zu drücken.

Derartige „Unterwanderungen“, sagte Hannelore Loskill gestern, seien im Ausschuss unmöglich: „Das stünde unserer Selbstbestimmung entgegen.“

ULRIKE WINKELMANN