Raus aufs Land und rein ins Leben

Der Großstadtkrimi ist in der Krise. Das Entlegene dient als neue Kulisse für Menschen in Lebensprovisorien und soziale Abgründe. Auch die neue Serie „Das Duo“ mit Ann-Kathrin Kramer und Charlotte Schwab spielt in der Provinz (20.15 Uhr, ZDF)

von CHRISTIAN BUSS

Freiwillig geht niemand in die Provinz, und bleiben will dort erst recht keiner. In den Krimis von ZDF und ARD stößt man immer häufiger auf Ermittler, die es aus den Metropolen in die kleineren Städte oder aufs Land verschlägt. Glücklich werden sie erst mal nicht. Die Lebensprovisorien in der Provinz sorgen für jene Zerrissenheit, die einen Cop erst zu einem Cop macht. Mit jeder neuen Serie wird eine weitere versprengte Großstadtseele etabliert: Ann-Kathrin Kramer pendelt als Kommissarin in der ZDF-Produktion „Das Duo“ schon etwas länger zwischen ihrer Wohnung in Hamburg und ihrem Job in Lübeck. Zu Hause fühlt sie sich nicht im Marzipanstädtchen, das hier wenig pittoresk aussieht. Axel Prahl indes hat es unlängst als Ermittler von der Elbe ins neu eingerichtete WDR-Tatort-Revier im öden Münster verschlagen; dort will sich der St.-Pauli-Fan um seinen Vater kümmern, einen kiffenden und Taxi fahrenden 68er.

Krankes Idyll

Auch in der heute startenden ZDF-Reihe „Kommissarin Lucas“ bildet ein Pflegefall den Hintergrund für einen Ortswechsel: Die von Ulrike Kriener gespielte Titelheldin zieht von Köln nach Regensburg, wo ihr Mann optimale medizinische Betreuung erhält. Es mag zwar ein waghalsiger Dreh sein, den Gatten ausgerechnet zum Wachkomapatienten zu machen, aber das Motiv wird schlüssig in den unaufgeregten Fluss der Handlung integriert. Entweder sitzt die zugezogene Beamtin vor dem Bett ihres wenig lebendigen Lebensgefährten, oder sie wird von den Einheimischen angefeindet. Nur einmal steht sie mit einer Buddel Bier auf dem Dom und blickt versonnen auf die Altstadt. Dieses Regensburg wirkt wenig idyllisch.

Touristische Impressionen finden kaum Eingang in die neuen Reihen. Tatsächlich werden jene düsteren Themen angerissen, die man gemeinhin eher mit urbanen Krimis verbindet: Vereinsamung und Ausgrenzung. Die öffentlich-rechtliche Metropolenflucht macht durchaus Sinn, denn der klassische Großstadtkrimi steckt in der Krise. Die Straßen Hamburgs oder Berlins wurden schon tausendmal abgefilmt, bestimmte städtische Settings sind längst Klischee, vor ihnen lassen sich schwerlich authentische Lebenswelten finden. Außerdem wurden für viele aktuelle urbane Sujets bislang keine überzeugenden filmischen Aufbereitungen entwickelt, etwa für die unübersichtlichen ethnischen Strukturen in den Ballungszentren. Zwar gilt es in den Redaktionen gerade als schick, Ermittler unterschiedlicher Herkunft zusammen auf Tour zu schicken, doch hinter der progressiven Haltung tut sich oft eine einfältige Inszenierung auf: Der ZDF-Familienkrimi „Zwei Profis“ etwa, in dem ein Deutscher mit einem japanischen Austauschpolizisten auf Streife geht, übernimmt zwar die Idee des interracial cop movie, wie man sie aus Jackie Chans US-Produktionen kennt, überführt sie jedoch in schwerfälligen Klamauk. Stereotype werden nicht unterwandert, sondern bestätigt. Auch die vielgerühmte Sat.1-Produktion „Eva Blond“ spielt mit Multikultiklischees, ohne sie zu brechen. Hier ermittelt eine Deutsche mit einem milden Macho Marke „türkischer Gemüsehändler“ und jagt mit ihm auch schon mal einen zu schlachtenden Hammel durch Kreuzberg.

Der Einzug der Öffentlich-rechtlichen in die Provinz wirkt da zwar wie eine Flucht vor der schwierigen Gemengelage in den Großstädten, doch erreichen die Krimis hier immerhin eine gewisse psychosoziale Schärfe: Hinter dem Verbrechen tun sich gesellschaftliche Abgründe auf. Neben den motivischen Erwägungen machen auch praktische den Dreh in kleineren Städten attraktiv: „Es ist auffällig, wie offen man da aufgenommen wird“, sagt Wolfgang Feindt, der „Kommissarin Lucas“ redaktionell betreut hat. Zwar entstünden erst mal Mehrkosten, doch die würden wettgemacht durch zuvorkommende Behörden, die sich einen Imagegewinn für die Stadt erhoffen. Das bestätigt Doris J. Heinze, Fernsehspielchefin des NDR. Nach dem Abgang von Charles Brauer und Manfred Krug vor zwei Jahren wurde die Frequenz für den Hamburger „Tatort“ runtergefahren, außerdem stellte man die „Stahlnetz“-Produktion ein.

Das Böse im Busch

Die frei gewordenen Kapazitäten kommen nun weniger metropolitanen Regionen zugute. Gerade wird in Kiel ein neues Tatort-Revier für Axel Milberg eröffnet, und in den ländlichen Regionen um Hannover ist Maria Furtwängler als Kommissarin im Einsatz. Ein kleines Problem gibt es jedoch bei ihren Landpartien, so Doris J. Heinze: „Wir können die Handlung nicht in realen Dörfern spielen lassen. Man würde ja die Leute verunglimpfen, wenn in der Handlung Bürgermeister und Dorfbewohner alle unter einer Decke stecken.“ Aber so kann es eben gehen, wenn das Böse unerwartet aus der Beschaulichkeit der Provinz hervorbricht.