Festival der literarischen Weltenbürger

Die Bremer Jacobs University und Radio Bremen präsentieren das 2. „Globale Festival“ für grenzüberschreitende Literatur. Mit Lesungen soll versucht werden, über das Leben und Schreiben ohne Schranken und über Fremdheit ins Gespräch zu kommen

Migration „ist so alt wie die Menschheit“. So denkt sich die Protagonistin aus Esmahan Aykols Roman „Goodbye Istanbul“ ins Paradies hinein – die schnöde Vertreibung im Sinn. Aus solchen Erfahrungen des Verlusts von Heimat entstehe „grenzüberschreitende Literatur“, verkündet die Bremer Jacobs University. Zum Beweis hat sie Aykol und elf weitere AutorInnen aus insgesamt zwölf Nationen eingeladen – SchriftstellerInnen, die als Exilanten, Flüchtlinge, Gastarbeiterkinder beziehungsweise Sprösslinge binationaler Ehen oder einfach kompliziert der Liebe wegen in Deutschland und der deutschen Sprache eine neue Heimat gefunden haben. Die Lebendigkeit ihrer Literatur soll beim 2. „Globale Festival“ präsentiert werden. Ab heute bis zum 5. November wird mit moderierten Lesungen versucht, über das Leben und Schreiben ohne Schranken, über Fremdheit, Ausgeschlossenheit und Identitätsprobleme ins Gespräch zu kommen.

Literatur jenseits der Muttersprache zu produzieren, ist kein neues Phänomen. Joseph Conrad wurde in der heutigen Ukraine geboren, wuchs mit dem Polnischen auf, wurde als englischer Schriftsteller berühmt. Samuel Beckett schrieb französisch, nachdem er Irland in Richtung Frankreich verlassen hatte. Und nach Adelbert von Chamisso, der dem verarmten französischen Adel entstammt und ein deutsch dichtender Weltenbummler wurde, ist seit 1985 der einzige Literaturpreis für deutschsprachige Literatur nationaler Minderheiten benannt.

Damit beginnt aber bereits das Problem. Wie lautet die politisch korrekte Bezeichnung? Ausländer-, Migrationsliteratur, Literatur von außen, multi- oder interkulturelle Literatur? Zwei Betroffene, Franco Biondi und Rafik Schami, nannten Arbeiten der Deutsch-Türken, -Italiener, -Spanier nicht ohne Ironie „Literatur der Betroffenheit“, handelte es sich doch häufig um arbeitskämpferische Sozialreportagen.

Und wie formuliert das die „Globale“-Leiterin Immacolata Amodeo? „Es geht nicht um arme schreibende Außenseiter, sondern einen genuinen Teil der deutschsprachigen Literatur.“ Daher solle nicht mehr der abfällige, historisch einschränkende Terminus Gastarbeiterliteratur verwendet werden. Aber auch ihr fällt nur eine außerliterarische Beschreibung ein: „Literatur eingewanderter Autoren“. Man könne auch Sprachgrenzgänger sagen, manche seien gar literarische Weltbürger.

Was sie an dem Thema fasziniert? Der fremde, frische, manchmal geradezu ethnologische Blick, die besondere Sensibilität für Unterschiede und Auswüchse der Gesellschaft – sowie das Behaupten fremder Denkweisen, Vorstellungen und Erfahrungen, was Vorurteile auszuräumen helfe. Immacolata Amodeo meint das Vibrieren der Worte, unter denen die Muttersprache noch mitschwingt; wie dem Deutsch aus der Distanz stutzend, staunend nachgespürt, spielerisch unbekümmert damit experimentiert wird.

Beispielsweise in den Werken von „Globale“-Gast Yoko Tawada. Franco Biondi hingegen repräsentiere eine weitere Besonderheit. „In deutschen Küchen“ (Romantitel) begegnen deutsche Dialekte dem Italienischen, auf die Perspektive eines übergeordneten Erzählers wird verzichtet, es herrscht eine geradezu multikulturelle Polyphonie. Ein drittes Merkmal grenzüberschreitender Literatur findet Amodeo bei Esmahan Aykol: das labyrinthische Erzählen, sich frei auf der Zeitachse bewegend. Überlagerungen der kulturellen Ebenen würden so deutlich, was auch als Metapher zu verstehen sei dafür, dass Kulturen immer zusammengesetzte Kulturen sind. Weswegen „Globale“ nicht nur ein anmaßender Festivaltitel ist, sondern auch Verweis auf Literatur als Ausdruck der globalen Mobilität. Migration ist und bleibt ein Grundpfeiler des Menschseins – und Kreativität kitzelndes Phänomen der Literaturproduktion. JENS FISCHER

www.globale-literaturfestival.de