Inszenierungen von „Fantômas“ und „Rebecca“ zum Abschluss des Festivals „Ausser Atem“ auf Kampnagel
: Surreale Traumwelten

Krimis sind ein dankbares Feld für jeden Regisseur. Der Spannungsbogen ist meistens schon vorhanden. Die Zuschauer sind leicht in den Bann zu ziehen. Kriminalistisches und Gruseliges stand im Zentrum des letzten Premierenabends beim Hamburg-Berliner Theaternachwuchsfestival „Ausser Atem“ auf Kampnagel.

Mit Fantômas fällt die Hamburger Regisseurin Susanne Reifenrath aus dem Rahmen des Gesamtprogramms. Sie greift zu keinem Filmstoff als Vorlage. Sondern zu Fantômas, dem Groschenromanhelden aus den Anfängen der Pulp-Fiction-Literatur. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts stiftete er die Surrealisten um André Bréton zu allerlei Poesie an. Willig lässt sich das Sinnbild für das Böse als Projektionsfläche für surreale Traumwelten gebrauchen.

Reifenrath entwickelt in Esther Bilias Einheitsbühnenbild eine Art dadaistische Bürochoreographie. Vier schön im klassischen Stil der 20er Jahre kostümierte Beamte, drei Männer und eine Frau, hausen da im „Büro für surrealistische Forschung“, Abteilung Fantômas. Die Büroangestellten müssen jeden Schritt ihrer Suche nach dem kriminellen Genie fein protokollieren. Und lassen sich derweil zu allerlei Unsinnsprosa hinreißen. Sie messen seine Schritte in Ellen nach und zählen verbissen die Leichen, die sich in seinen Romanen stapeln.

Vor allem aber spielen sie. Das beliebte surrealistische „Wenn-dann-Spiel“. Mal verkörpert die herrlich ironische Hélène (Susanne Pollmeier) eine ungarische Adlige, die der grausige Fantômas um die Ecke gebracht hat. Und schreit dabei schöner als jede Leiche in einem Edgar-Wallace-Film. Dann wieder würgt sie den stoischen Kriminaltüftler Juve (Christian Donat). Fantômas selbst (Oliver Brod) bleibt ein maskiertes Phantom, das stets an zwei Orten gleichzeitig auftritt, zwischendurch seine rote Jacke an der Garderobe ablegt, um bald darauf durch irgendeine Wand zu verschwinden. Dank des absurden Textes von Claudia Lohmann, den die Darsteller wie Sprechsalven abfeuern, bleibt die Suche kurzweilig und amüsant – und herausragend gespielt.

Auf ein ganz anderes Tempo muss sich der Zuschauer bei Ingo Berks Interpretation von Rebecca einstellen. Berk, der schon mit Falk Richter, Stefan Pucher, Christoph Marthaler und Andreas Kriegenburg gearbeitet hat, gewinnt dem Filmklassiker von Alfred Hitchcock keine wirklich neuen Seiten ab. Er versammelt die drei Hauptfiguren Mr. De Winter (Kai Scheve), Mrs. De Winter (Bettina Lohmeyer) und die missmutige Haushälterin Mrs. Danvers (Heidi Züger) an einer langen Tafel. Im Hintergrund eine drohend pulsierende Geräuschkulisse. Anspannung liegt in der Luft. Die frisch angetrauten Eheleute trennen nicht nur diverse Stühle, sondern Welten. Die neue Ehefrau zuckt ängstlich zusammen vor dem übergroßen Schatten ihrer Vorgängerin Rebecca, von der es heißt, sie sei „unermesslich schön“ gewesen, und sowieso galten sie und Mr. de Winter als „das perfekte Paar“. Leider kam sie bei einem Bootsunglück ums Leben. Die Neue hofft, glaubt unerschütterlich daran, das neue, wahre Glück ihres Gatten zu sein. Ringt um den Respekt der furchterregenden Haushälterin, die wie eine Mumie bei Kerzenschein durch das Haus schleicht. Aber auch wenn die Neue sich das Brautkleid ihrer Vorgängerin überstreift, passt es ihr nicht.

Berk entwickelt ein gruseliges Kammerspiel, optisch schön hochstilisiert und streng komponiert, nur bisweilen spannungsarm. Der Graben zwischen den Bewohnern des Hauses Mandalay findet seine Entsprechung in wenigen gesprochenen Worten und großen räumlichen Distanzen. Die Atmosphäre von Entfernung und Kälte schafft böse Ahnungen. Und am Ende stellt sich heraus, dass zwischen schöner Fassade und Wirklichkeit der ersten, wie der zweiten De-Winter-Ehe Welten liegen. Caroline Mansfeld

nächste Vorstellungen: Fantômas: Do, 15. 1., 19.30 Uhr. Rebecca: Do, 15. 1., 21.30 Uhr, Kampnagel