Rasen für die Wissenschaft

Der Bundeswirtschaftsminister will Autobahnen privatisieren und das Geld in Bildung und Forschung stecken. Das läuft auf eine Pkw-Maut hinaus, die nur wenigen gefällt

BERLIN taz ■ Der Bund braucht dringend Geld, warum da nicht die Autofahrer zur Kasse beten? Bundesverkehrsminister Wolfgang Clement (SPD) dachte gestern zumindest laut über kostenpflichtige Autobahnen nach, brachte die Privatisierung ins Spiel. „Wir könnten ein gut Teil öffentlicher Aufgaben und Ausgaben völlig anders regeln“, sagte Clement der Berliner Zeitung. Schließlich hätten Frankreich oder Italien das schon längst getan. Das Geld will Clement dann in die Wissenschaft stecken. Verkehrsexperten halten den Vorschlag für nicht akzeptabel.

Privatisierung sieht in dem Fall so aus: Investoren finanzieren den Neu- oder Ausbau des Asphalts. Im Gegenzug treiben sie von den Nutzern Gebühren ein. Das hört sich zunächst gut an, kämpfen Umweltschützer doch seit langem dafür, Autofahrer stärker an den Kosten für den Wegebau zu beteiligen. Bei näherem Hinsehen gibt es aber Probleme. So spottete Albert Schmidt, Verkehrsexperte der Grünen: „Ein typischer Clement: ein Schuss aus der Hüfte.“ Ihm sei schleierhaft, wie jemand auf die Pkw-Maut komme, obwohl die Regierung noch nicht einmal die Lkw-Maut im Griff habe.

Und Tilmann Heuser, Experte beim Bund für Natur und Umweltschutz, unkte: Das läuft auf „Rasen für Studenten“ hinaus. Er ist nicht gegen die Pkw-Maut, moniert aber: „Wir brauchen kein Abkassiermodell, sondern ein verkehrspolitisches Konzept.“ Rot-Grün müsse zum Beispiel stärker auf Sanierung anstatt auf Neubau setzen. Allerdings könne es dem Staat auf keinen Fall schaden, wie Privatinvestoren zu denken, nämlich ökonomisch. Heuser: „Dann würde die umstrittene Ostseeautobahn sicher nicht gebaut.“

Clement habe nur einen „Denkanstoß“ geben wollen, verteidigte seine Sprecherin gestern. Der ist allerdings auch aus anderen Gründen sehr wackelig. Wer Gebühren für die Straßennutzung einnimmt, muss sie von Brüssel genehmigen lassen. Und nach der derzeit gültigen EU-Wegekostenrichtlinie darf der Wegezoll nur erhoben werden, wenn er wieder in die Infrastruktur gesteckt wird, sprich: Der private Investor dürfte mit dem Geld nur Autobahnen bauen. Außerdem versprechen lange nicht alle Straßen Gewinne. Wer nimmt schon Autobahnen, die nur selten genutzt werden und niemals die gewünschten Renditen bringen?

Juristen geben noch einen ganz anderen Aspekt zu bedenken: Der Staat habe schließlich eine Daseinsvorsorge. Und ob eine Straße aus- oder neu gebaut werde, sei Sache des Parlaments. Bei Tunneln oder Brücken sitzen dann aber doch mal private Investoren mit am Tisch. Nächste Woche geht zum Beispiel der Wesertunnel in Betrieb.

Grundsätzlich stellte sich gestern aber auch Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) gegen Clement, erteilte Privatisierung und Pkw-Gebühr eine klare Absage. Autofahrer müssen ihn ohnehin nicht fürchten. Zwar hatte die Bild gestern gemeldet, er wolle Gebühren für Abgasuntersuchung und Führerschein erhöhen. Doch dementierte der Minister prompt.

HANNA GERSMANN