Praxisgebühr: Ausnahmen ruinieren die Regel

Experte warnt, dass eine Aufhebung der Gebühr bei Folgerezepten notwendige medizinische Kontrollen verhindere

BERLIN taz ■ Der Gesundheitsökonom und Regierungsberater Karl Lauterbach warnt davor, neben der Antibabypille auch andere Folgerezepte von der Praxisgebühr zu befreien. „Wenn alle möglichen Wiederverschreibungen – etwa für Blutdrucksenker – ohne Praxisgebühr zu haben wären, würde dies für die Patienten gefährlich.“ Denn wenn ein Arzt ständig das Rezept ohne Untersuchung ausstelle, entfielen dadurch auch notwendige Blutdruckkontrollen.

Es sei abzusehen, erklärte Lauterbach, dass vor allem sozial Schwache von jeder Möglichkeit Gebrauch machen würden, die Praxisgebühr zu umgehen. Ausgerechnet diese Gruppe würde sich damit auch einer sinnvollen ärztlichen Routineuntersuchung entziehen.

Der SPD-Gesundheitsexperte Klaus Kirschner hatte Anfang der Woche angeregt, außer den Pillenrezepten für Frauen auch andere Verschreibungen, die lediglich erneuert werden müssten, von den sonst anfallenden zehn Euro Praxisgebühr freizustellen. Beispiele hierfür sind etwa Medikamente gegen Asthma oder eben Bluthochdruck.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) erklärte dazu zunächst, dass die Verschreibung der Pille für gesunde Frauen nicht mit der Verschreibung von Medikamenten für Kranke zu vergleichen sei. Frauen ab 21 müssten ja „die Pille ohnehin selbst bezahlen“, und zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften erlasse man ihnen daher besser wenigstens die Praxisgebühr. Die Ministerin deutete jedoch an, dass dann, wenn Versicherte regelmäßig die gleichen Medikamente benötigten, „man zu einer Regelung unterhalb der Gesetzesebene kommen könnte“. Dies ließ sich durchaus so verstehen, dass damit nicht nur die Antibabypille gemeint war.

In diesem Punkt hat sich erstmalig seit In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform der CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer zu Wort gemeldet. Seehofer, der maßgebliche Reform-Unterhändler der Unionsseite, sagte gestern, wenn man bei der Pille eine Ausnahme zulasse, würde ein Krebskranker zu Recht fragen, warum er für ein Folgerezept zahlen solle. Er forderte Schmidt auf, mit Kassen und Ärzten die noch offenen Fragen der Reformumsetzung zu klären.

Genau dies ist Zweck eines Treffens der Ärzte- und Kassenverbände mit Schmidts Staatssekretär Klaus Theo Schröder, das heute früh in Berlin stattfindet. Auf der Tagesordnung steht hier vor allem die Frage, wie der Begriff der „schwerwiegenden chronischen Krankheit“ künftig definiert wird. Wer unter diese Definition fällt, muss bloß ein statt zwei Prozent vom Jahresbruttolohn für Medikamente und Praxisgebühr zahlen. Auch über die Frage, ob die Praxisgebühr auch bei Psychotherapeuten anfallen soll oder nicht, wird heute vermutlich verhandelt werden.

Andere Fragen rings um die Praxisgebühr sind erst am 22. Januar Gegenstand eines Treffens von Kassen- und Ärzteverbänden: Etwa, ob und wie Praxisgebühren zurückerstattet werden, die aufgrund der Konfusion beim In-Kraft-Treten der Reform irrtümlich oder bewusst fälschlich eingezogen wurden.

Kühl wehrten die Krankenkassen gestern die empörte Kritik darüber ab, dass sie nun Augenuntersuchungen beim Optiker nicht mehr bezahlen. „Das ist seit Herbst bekannt“, sagte AOK-Sprecher Udo Barske. Die Optiker hätten bislang 3,67 Euro für die Sehschärfemessung bekommen. Sicherlich würden sie dieses Geld künftig nicht extra bei den Kunden eintreiben, sondern – dem Wettbewerbsdruck auf die Optikerbranche sei Dank – die Messung als Bestandteil einer Brille berechnen. Etwa die Hälfte aller Sehschärfemessungen finden nicht beim Augenarzt, sondern beim Optiker statt. Die Augenärzte wollten in der Jahresanfangs-Konfusion durchsetzen, dass sie die Messung demnächst privat abrechnen könnten. Dies wurde ihnen jedoch versagt.

ULRIKE WINKELMANN