Plastik versus Tradition

Feinsinnige politische Spitzen, unauffällig unter bewusst zelebriertes Alltagsgezeter gemischt: Das tunesische Ensemble El Teatro mit „Ici Tunis“ auf Kampnagel

Gezänk und Gezeter brechen jäh ab. Der junge Mann auf der Bühne verlangt nach einer Schweigeminute für das leidende palästinensische Volk. Lähmende Stille befällt die eben noch turbulente Szenerie, sodass selbst dem, der sie forderte, im Satz der Mund weit offen stehen bleibt.

Bereits nach wenigen Minuten nimmt die groteske Satire Ici Tunis des El Teatro aus Tunesien, die beim Festival „Polyzentral“ auf Kampnagel Europapremiere hatte, eine ernste Wendung, erstarrt die Hektik, mit der die Menschen im heutigen Tunesien sich gegen zunehmende Restriktionen zu behaupten suchen. Inmitten von Alltagskleinkrieg kratzt der Autor, Regisseur und Schauspieler Taoufik Jebali am herrschenden System.

Sprachwitz und Wortspiele, der er sich dabei ganz offensichtlich bedient, blieben den des Arabischen unkundigen Zuschauern – am Premierenabend nicht zuletzt wegen technischer Tücken bei der Übertitelung der ohnehin unzureichenden Übersetzung – weitgehend verborgen. Das war zwar schade, denn die ausdrucksvolle Körpersprache der drei Frauen und drei Männer bildetet nur eine Ebene in dem komplexen Spiel. Dennoch drangen feinsinnige Doppeldeutigkeiten spürbar durch. Plastikstühle, aufgestellt, durcheinandergeschmissen und wieder gestapelt, dienten als Requisiten einer modernen Welt, an die sich die traditionellen Ordnungen kaum anpassen lassen wollen.

Straßencafés, das Gebet in der Moschee, Trance-Kult und Reinigungsrituale im Hamam bereiten den Boden für dieses absurde Theater. Szenenapplaus erntete der anmutige Schattenstriptease des eben noch schnaufend im Bad umher humpelnden Männertrios. Taoufik Jebali selbst trat immer wieder in der Rolle des „Kommentators“ auf. Den Fotoapparat vor dem Bauch, richtete er sich ans Publikum. Tourist, Chronist oder gar Spitzel? Man weiß es nicht genau. Als er sich über fetttriefende Süßigkeiten ausließ, konnte man seiner Logik zwar kaum noch folgen, wurde aber hellhörig, als es um die Vorzüge weißer gegenüber schwarzer Verpackung ging.

Die Überwachungsmaschinerie läuft derweil auf Hochtouren. Der Schmach unehelicher Schwangerschaft begegnet man mit Scheinschwangerschaft der gesamten Familie. Mit rotgeschminkten Lippen und ausgestopftem Bauch sitzt Mann umringt von Frauen – ein moderner Achill, der sich dem Ruf zur Schlacht verweigert.

Marga Wolff