berliner szenen Freunde und Helfer (II)

Irrtum im U-Bahnhof

Das Umsteigen dauert nur Sekunden. Schließlich halten am Mehringdamm U 6 und U 7 auf dem selben Gleis. Obwohl der Wechsel wie im Schlaf vor sich geht, fällt die Abweichung sofort auf. Die beiden blau uniformierten Sherrifs, die Pissrinne neben der Notrufsäule, der lang ausgestreckte Mann auf der Bank. Das gibt Stress, denkt man, während sich die Waggontüren der U 6 öffnen, und richtig: Der Zug wartet erst mal zwei, drei Minuten.

Damit ist Zeit genug, um aus nächster Nähe zuzuschauen, wie die Security den bärtigen Kerl aus dem Bahnhof entfernen wird. Richtig zupacken mögen die beiden Wachmänner allerdings nicht. Sie fragen immer wieder nach dem Fahrschein, heben die Stimmen, reden weiter auf ihn ein, bis ihr Gegenüber plötzlich völlig unkontrolliert mit den Armen schlenkert und Quieklaute von sich gibt – offenbar ist er komplett besoffen. Dann kommt eine Polizeistreife als Verstärkung, und einige Fahrgäste werden ungeduldig. Wieso man für irgendeinen dahergelaufenen Penner den ganzen Verkehr aufhalten muss, will eine ältere Frau vorne im Abteil wissen.

Aber die Polizisten haben die Situation schnell im Griff. Ganz langsam gestikuliert einer von ihnen in Gebärdensprache – und bekommt als Antwort vom Mann auf der Bank einen atemlosen Schwall an Handbewegungen zurück geschleudert, die er seinem Kollegen übersetzt. Es handelt sich gar nicht um einen Vollrausch, sondern um einen Notfall: Der Mann ist gehörlos, hatte einen Kreislaufzusammenbruch und braucht dringend ärztliche Hilfe. Sofort wird per Handy ein Wagen der Ambulanz gerufen. Dann schließen sich die Türen der U 6, und man weiß: Die Polizei ist womöglich auch dein Freund und Helfer. Nicht immer, aber immer öfter. HARALD FRICKE