„Humor muss nicht die Welt retten“

Thomas Hermanns ist der Impresario der deutschen Comedy-Szene. Er entdeckte Michael Mittermeier, Wigald Boning, Rüdiger Hoffmann und Ingo Appelt. Alle hatten ihre ersten Auftritte im „Quatsch Comedy Club“, mit dem Hermanns im vorigen Herbst in den Keller des Friedrichstadtpalasts gezogen ist. Der 40-jährige gebürtige Bochumer, der auf Pro7 auch den „Pop-Club“ moderiert, will in Berlin endlich etablieren, woran er seit Jahren mit missionarischer Passion arbeitet: Stand-up-Comedy. Der notwendige Mutterwitz dafür ist da, sagt Hermanns und erklärt, warum er trotzdem zum Karneval nach Köln fährt.
Interview THOMAS WINKLER

„Es kommen immer mehr Comedians nach Berlin. Es muss ja nicht wie in London 30 Clubs geben, aber wenn was passiert, dann, so sieht es momentan aus, wohl hier“

taz: Herr Hermanns, wir stecken mitten im Karneval. Feiern Sie in Berlin?

Thomas Hermanns: Nein, ich feiere Karneval jedes Jahr wieder religiös und fahre für fünf Tage nach Köln. Hier in Berlin versteht das ja keiner, dass man in ein x-beliebiges Lokal gehen kann und alle singen, alle grinsen einen an. Das ist ein dermaßen positiver Schub, den kann man gerade im Februar gut gebrauchen.

Ist Karneval also eine Mentalitätsfrage?

Nein, das sind Traditionen. Man merkt bei uns im Club, dass Berlin genauso gern lacht wie Köln, genauso direkt lacht. Die ganzen berühmten Mutterwitz-Taxifahrer und -Verkäuferinnen prägen tatsächlich die Stadt. Ich glaube, dass wir mit dem Quatsch Comedy Club ein Ventil geöffnet haben. Die Leute kommen und lachen los. Ich habe auch das Gefühl, dass die Live-Situation in Berlin eher geschätzt wird. In Köln wollen alle ins Fernsehen. Hier gibt es auch durch solche Schlachtrösser wie das Theater am Ku’damm eher das Bewusstsein, dass man auch einfach nur auf der Bühne unterhalten kann. Die Berliner feiern gerne, sie trinken gerne, sie singen gerne, und der Rest ist Tradition. Insofern könnte auch Karneval gut nach Berlin passen.

Ist der Berliner nicht viel zu muffelig?

Ja, muffelig ist er schon. Aber auch kess, und das passt dann wieder. Der Club läuft ja auch deshalb so gut, weil es hier durchaus eine Humortradition gibt – jedenfalls eher als in Hamburg. Der Berliner Humor ist einer, der gerne Autoritäten angreift, der etwas rotziger, etwas heftiger ist.

Vulgärer?

Nein, nicht vulgärer. Eher selbstbewusster, weniger harmonisierend, konfliktbereit. Der Berliner mag es, wenn Prätentionen angegriffen werden, der mag es ehrlich.

Warum verkleidet sich der Rheinländer so gern?

Die Leute begeben sich viel zu wenig in Rollen einfach mal für einen Tag. Die Deutschen sollten viel mehr mit Rollen und Identitäten spielen, das bringt Spaß ins Leben. Wir sind eine muffelige Nation, und da schadet das gar nix. Ich verkleide mich auch ständig.

Stimmt es, dass sie in Ihrer New Yorker Zeit als deutsche Madonna aufgetreten sind?

„Materielles Mädchen“ war mein großer Hit. „Ich bin eine Jungfrau“ natürlich auch. An „La Isla Bonita“ bin ich dann gescheitert, das klang in keiner Sprache sinnvoll. Mich interessieren immer, egal wo ich bin, die Identitäts- und kulturellen Unterschiede. In New York entdeckt man automatisch sein Deutschsein: Ich habe mal bei Gayle Tufts in New York Regie geführt und war dann der, der anschließend das Confetti zusammenkehrte. Da arbeitete die deutsche Hausfrau in mir: Die anderen waren schon am Trinken, ich war noch am Saubermachen.

In New York haben Sie Ihren missionarischen Eifer entdeckt, Stand-up-Comedy nach Deutschland zu bringen. Wie wird man zum Missionar?

Indem man etwas vermisst. Indem man in anderen Ländern ist und sieht, wie Menschen fröhlich miteinander umgehen. Außerdem: Alles, was ich gemacht habe, war irgendwann erfolgreich, weil die Leute offensichtlich dasselbe vermisst haben wie ich. In Deutschland gilt Entertainment immer noch als Luxus, aber ich sage: Jeder Mensch hat ein Recht auf gute Unterhaltung. In anderen Ländern ist das normal, aber im Lande von E und U rangiert man als Unterhalter ganz unten. Da wird man leicht ein bisschen missionarisch.

Und wer ist für den Missionar der Antichrist, diese „bestimmten Leute“, von denen Sie geschrieben haben, „sie wollen den Spaß zu Grabe tragen“?

Das klassische Feuilleton. Ich habe lange daran gearbeitet, dass das deutsche Feuilleton meine Arbeit als Kunst sieht. Inzwischen glaube ich nicht mehr daran, dass das noch mal passieren wird. Ich bin da auch nicht böse, die denken halt anders. Vielleicht kommt es auch daher, dass ich als studierter Theaterwissenschaftler gelernt habe, dass Komödie und Tragödie, dass Moliere und Shakespeare zusammengehören. Und wenn jemand sagt, Comedy ist nur das Blubbern an der Oberfläche, dann akzeptiere ich das halt nicht.

Das klingt ein wenig beleidigt.

Nein, nicht mehr. Comedy ist mittlerweile so stark und selbstständig, dass man das Lob vom Feuilleton-Pappi nicht mehr braucht. Nach dem 11. September war es doch so: Alle Medien haben gesagt, jetzt ist Schluss mit lustig. Wenn man das seitenweise liest vom Spiegel bis zum Feuilleton, dann heißt das für mich: Hör auf zu arbeiten. Ich bin jetzt 20 Jahre im Geschäft und seit meinem allerersten Verriss in der Süddeutschen Zeitung kenne ich die Argumente, mit denen ich aus dem Dorf getrieben werden soll.

Das kann doch nicht sein, dass alle das Gleiche geschrieben haben?

Man muss sehen, wer da schreibt: Das sind ausnahmslos weiße, heterosexuelle Männer. Außerdem müsste man mal näher beleuchten, wie die ehemaligen 68er, die mittlerweile an der Macht sind, zu Unterhaltung stehen. Für die sind wir doch Volksbelustigung, während in der schicken Altbauwohnung beim schönen Glas Rotwein beschlossen wird, worüber die Leute lachen dürfen. Von Journalisten bekomme ich immer die Frage gestellt: Wie weit darf Comedy gehen, worüber darf man noch lachen? Es wird nie analysiert, wer über was lacht. Stattdessen wird gemosert über Prollhumor und dass Tabus gebrochen werden. Von konservativer Seite erwarte ich das ja, aber wenn Linke festlegen wollen, was guter Geschmack ist, und empfehlen, in die Toskana zu fahren, um dort über die Commedia dell’Arte zu lachen, dann werde ich rebellisch.

Versuchen Sie, nachdem Sie das Humor-Bewusstsein der Deutschen geschärft haben, mit dem „Pop-Club“ das popkulturelle Bewusstsein hierzulande zu entwickeln?

Durchaus. Zum einen ist es natürlich die Freude an dem unsinnigen Wissen, das man mit sich herumschleppt. Aber es ist auch der Versuch, das Thema Pop zu würdigen. Denn jeder Mensch, der morgens aus dem Bett will, braucht gute Musik, die ihn unter die Dusche bringt. Und auch für diese Musik gilt, was für Humor gilt: Sie muss nicht die Welt retten.

Fehlt hierzulande für eine Sendung wie „Pop-Club“ nicht ein allgemein verbreitetes Bewusstsein, dass Popkultur einen Wert hat?

Dieses Bewusstsein für Popkultur mag nicht so verbreitet sein wie in England, aber dass es überhaupt nicht verbreitet ist, ist nicht wahr. Warum spricht man am Ende einer Party dann doch über Platten? Viele Leute flüchten in Musik, Musik ist eine Gegenwelt, die der Alltag auch braucht. Menschen bauen unglaubliche Beziehungen auf selbst zu Songs wie „Bridge Over Troubled Water“.

Aber wollen die, dass über Ihr Verhältnis zu „Bridge over Troubled Water“ im Fernsehen gesprochen wird?

Vielleicht wollen die nicht selbst darüber reden, aber vielleicht sehen sie gerne eine Sendung, in der „Bridge Over Troubled Water“ gegurgelt wird wie bei uns. Musik spielt im Leben der Leute eine unglaublich große Rolle, und viele hören die abstrusesten Sachen. Ich merke es immer bei Taxifahrern, was die alles so auflegen. Bei Stand-up-Comedy wurden damals genau dieselben Argumente vorgebracht: Das will keiner, die Sprache gibt es nicht her, es gibt die Personen nicht.

Wo haben Sie damals die späteren Stars denn gefunden?

Ich habe nach Leuten geguckt, die ich lustig fand. Die traten in Hamburg bei Schmidt in der Mitternachtsshow auf oder irgendwo auf kleinsten Jugendzentrumsbühnen. Das Problem aber war: Die wollten keine Komiker sein, die wollten Kleinkünstler sein. Kleinkunst, schon immer mein Hasswort, war damals der akzeptierte Begriff, und Kabarettist war sowieso super. Ich weiß noch, wie ich Wigald Boning zum ersten Mal traf: Der verabredete sich mit mir im Karstadt-Restaurant, also einem typischen Boning-Ort. Dort musste ich den überreden, sich überhaupt als Komiker ansagen zu lassen.

Wigald Boning wollte lieber Kabarettist sein?

Nein, der wollte Gesamtkunstwerk sein. Der hatte in einem Film gespielt, machte Musik und erzählte seine Geschichten. Solche Leute dazu zu bringen, sich 20 Minuten hinzustellen und nur zu reden, dazu gehörte schon Überredungskunst. Fakt war: Komiker stand für Didi Hallervorden, Treppen runterfallen, Grimassenschneiden. Komiker war sooo uncool. Der Begriff Comedy machte es einfacher, den Beruf zu akzeptieren.

Mittlerweile muss man wohl niemanden mehr überreden.

Nein, mittlerweile bekommen wir haufenweise Tapes zugeschickt. Deshalb gibt es bei uns im Club ja auch nun den Open-Mike-Abend. Die Kleinsttheater, die Jugendzentren oder Kulturläden, in denen eigentlich jeder angefangen hat, denen werden die Subventionen gekürzt. Deshalb ist es wichtig, dass wir Plätze schaffen, wo Leute, die 17 sind und eine Idee haben, auftreten können. Zu unserem Open Mike kommen dann alle, die wir von Videos kennen, aber nicht hoch genug einschätzen, im normalen Programm aufzutauchen.

Da kann also nicht kommen, wer mag?

Nee, auch fünf Minuten können ganz schön lang werden. Man sollte niemanden auf die Bühne lassen, um ihn zu denunzieren. Man muss ihnen die Würde lassen, denn die Bühne ist ein sehr einsamer Ort.

Ist es denn denkbar, dass sich in Berlin einmal eine Comedy-Kultur entwickelt wie in New York oder gar London, wo 30 Clubs konkurrieren?

Das muss man sehen. Es ist schon mal gut, dass es in Berlin mehrere Clubs gibt: uns, Kookaburra und den Club Comik einmal im Monat im Tränenpalast. Jahrelang hat man gedacht, dass so etwas in Köln passiert. Da war die gesamte Industrie, da kommt jeder sofort ins Fernsehen. Dass es jetzt in Berlin schon drei Anlaufpunkte gibt, sorgt dafür, dass immer mehr Comedians hierher kommen. Die können jetzt schon eine kleine Runde hier laufen, das lohnt sich. Es muss ja nicht wie in London 30 Clubs geben, aber wenn was passiert, dann, so sieht es momentan aus, wohl in Berlin.

Sie haben vor fünf Jahren die Hoffnung geäußert, dass auch Comedy politisch werden kann. Hat sich diese Hoffnung erfüllt?

Es geht zumindest los. Michael Mittermeier hat die Anfänge gemacht und bei seinem letzten Wetten-dass-Auftritt fast ausschließlich Politik gemacht. Ich glaube, das ist unausweichlich.

Wird der Komiker dann doch wieder zum Kabarettisten?

Nein, die Sichtweise des Komikers ist eine andere. Der Komiker ist Leidender, der Kabarettist ist Wissender. Da kann es interessant werden, wenn Komiker politische Themen bearbeiten, gerade weil sie sich nicht hinstellen werden und wissen, was richtig und falsch ist.

Haben Sie mittlerweile den Ruf eines Trüffelschweins?

Alle wollen von mir wissen, wer der neue Mittermeier wird. Als wenn ich die backen würde. Das ist sehr ermüdend. So funktioniert es leider nicht. Die Verantwortlichen von Plattenfirmen vergessen auch gerne, dass man an und mit einem Künstler auch arbeiten muss. Die leugnen, dass Zeit vergehen muss, in der sich eine Figur entwickeln muss.

Fehlt in der Branche noch das Bewusstsein, dass Erfolg auch was mit Handwerk zu tun hat?

Ja, auch weil es den Boom gab. Es gab eine Zeit, da dachten alle, Comedy sei schnelles Geld. Ich mache in der Köln Comedy Schule jährlich ein Blockseminar für Stand-up-Comedy. Vor drei Jahren dachten alle, sie kommen in den Workshop und sind in einem Jahr Millionär. Inzwischen sind die Schüler wieder viel normaler, wissen, dass man sich das gut überlegen muss, wenn man den Beruf ein Leben lang machen will, und haben wieder Demut vor dem Job. Aber viele Leute in der Industrie, die es eigentlich besser wissen müssten, denken bereits wie das Musik-Business und meinen, man könnte One-Hit-Wonder produzieren. Aber in der Comedy geht das nicht, das ist das Schöne.