„Die Klage der EU-Kommission dürfte unzulässig sein“

Der Jurist Ulrich Häde sagt, dass ein Prozess gegen den Ministerrat kaum Aussicht auf Erfolg hat. Es gehe aber darum, ein politisches Zeichen zu setzen

taz: Herr Häde, hat die Kommission Chancen, den Rechtsstreit gegen den Rat zu gewinnen?

Ulrich Häde: Ich glaube nicht. Teilweise dürfte die Klage unzulässig sein, ansonsten vermutlich unbegründet.

Inwieweit ist die Klage unzulässig?

Die Kommission kritisiert, dass der Rat nicht die von ihr vorgeschlagenen Empfehlungen an Deutschland und Frankreich beschlossen hat, sondern eigene weichere Empfehlungen formulierte. Laut EG-Vertrag kann die Kommission aber gegen Empfehlungen des Rates gar nicht klagen. Denn Empfehlungen sind unverbindliche Rechtsakte – auch wenn ihre Missachtung im Lauf des Verfahrens zu hohen Sanktionen führen können.

Neben den Empfehlungen an Deutschland und Frankreich hat der Rat im November auch das Defizitverfahren gegen beide ausgesetzt. Das stört die Kommission besonders …

Auch hier hat die Klage aus meiner Sicht eher wenig Aussicht auf Erfolg. Denn eine Ratsverordnung von 1997 sieht ausdrücklich vor, dass das Defizitverfahren ruht, wenn der betreffende Mitgliedstaat gemäß den vorher erteilten Empfehlungen tätig wird. Es ist zwar nicht geregelt, wer das Ruhen des Verfahrens feststellt. Aber es dürfte im Rahmen der Zuständigkeiten des Rates liegen, eine solche Entscheidung zu treffen. Falls Deutschland also tatsächlich geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um Defizit und Schuldenstand zurückzuführen, hätte der Rat rechtmäßig gehandelt. Allerdings lässt sich auch nicht ausschließen, dass der EuGH doch meint, es fehle eine Rechtsgrundlage für den Beschluss.

Was wäre, wenn die Kommission den Rechtsstreit gewänne? Würde sich dann etwas ändern?

Vermutlich nicht. Dann könnte der Rat zwar keine Beschlüsse dieser Art mehr fassen, aber er könnte immer noch die Empfehlungen der Kommission ablehnen. Auch dann bliebe ein von der Kommission betriebenes Defizitverfahren auf halbem Wege stecken.

Was will die Kommission dann mit einem Prozess, der selbst im Erfolgsfall wenig ändern würde?

Ich denke, die Kommission will ein Zeichen setzen. Sie will klar machen, dass sie sich einer Aufweichung des Stabilitätspaktes widersetzen wird.

Ist es wirklich sinnvoll, wenn halb bankrotte Staaten bei einem zu hohen Defizit zur Strafe eine Geldbuße nach Brüssel überweisen müssen?

Die Strafandrohung dient der Abschreckung. Sie ist vor allem sinnvoll, solange diese Abschreckung funktioniert und die Milliardenbußgelder nicht verhängt werden müssen. Aber wenn die Voraussetzungen vorliegen, sollte man die Sanktionen auch verhängen, denn sonst verliert die Drohung an Glaubwürdigkeit.

Gibt es beim Defizitverfahren schon Fälle, wo politische Interessen über das EU-Währungsrecht gesiegt haben?

Leider ja. Als 1998 der Teilnehmerkreis für die dritte Stufe der Währungsunion festgelegt wurde, da hätten Belgien und Italien nicht zugelassen werden dürfen. Denn zuvor attestierte man ihnen ein „übermaßiges Defizit“. Die Aufhebung dieser Beschlüsse, die den beiden Ländern die Tür zur Währungsunion öffnete, war wegen deren hohem Schuldenstand zumindest zweifelhaft.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH