„Die Zeiten für Innovation sind nicht so schlecht“

Der Innovations-Experte Hariolf Grupp fordert mehr Investition in Forschung – der Staat müsse eine Initialfunktion übernehmen

taz: Herr Grupp, was bezeichnet ein Experte wie Sie als Innovation?

Hariolf Grupp: Wir definieren jede Einführung von neuen Produkten oder Dienstleistungen auf dem Markt, also unter kommerziellen Bedingungen, als Innovation.

Hat die Politik die gleiche Vorstellung von Innovation wie die Wissenschaft?

Ich erlebe schon häufig, dass der Begriff sehr floskelhaft als Chiffre für Modernität oder Zukunftsorientierung verwendet wird. Aber es gibt immer mehr Politiker, die wissen, worum es geht.

Politiker nehmen immer wieder die Zahl der Patente als Innovationsbarometer. Ist das der richtige Indikator?

Nein. Patente zeigen die technische Entwicklung als Vorläufer der Innovation an. Das ist nicht hinreichend, um auch auf den wirtschaftlichen Nutzen zu schließen. Hier hilft eigentlich nur die Betrachtung der so genannten Hochtechnologie. Eine Frage ist etwa, wie sich in diesem Bereich Kennziffern wie Beschäftigten- und Produktionszahlen verändert haben.

So gesehen leben wir also nicht unbedingt in innovativen Zeiten?

So schlecht sind die Zeiten nicht. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir seit der Wiedervereinigung in ein tiefes Tal gerutscht sind. Da müssen wir heraus. Es gibt einen langsamen Anstieg, aber die Rückschritte vom Anfang der 90er-Jahre sind noch nicht ausgeglichen.

Welches waren denn die innovativsten Zeiten in Deutschland?

Da müssen wir in die Zeit vor der Weimarer Republik zurückgehen. Doch die damaligen Verhältnisse sind mit den heutigen nicht vergleichbar. Mit der Gründung des Deutschen Reichs ist ein sehr großes einheitliches Wirtschaftsgebiet entstanden, auch sehr viele Hochschulen haben sich damals neu gegründet. Das hat einen unheimlichen Anstoß gegeben – bei der Wiedervereinigung ja leider nicht.

Zyniker sagen, Krisenzeiten seien stets die besten Zeiten für Innovation.

Krisenzeiten sind nur dann innovative Zeiten, wenn man antizyklisch agiert, also sagt: Jetzt in der Krise müssen neue Dinge erfunden werden, um auch einen qualitativen Aufschwung der Wirtschaft zu erreichen. Oft passiert das aber nicht, weil in der Krise das Geld knapp ist.

Ist Innovation in der Krise jemals gelungen?

Wenn, dann während der ersten Ölpreiskrise von 1972. Damals haben sich die Rohstoffe massiv verteuert. Es kam zur ersten großen Massenarbeitslosigkeit in Westdeutschland. Aber damals haben es alle Industrieländer geschafft, beherzt und schnell umzusteuern. Auch Deutschland hat 1974 mit dem Solarförderprogramm in andere Technologien investiert.

Und was soll man heute tun, um Innovationen zu fördern?

Wir können nachweisen, dass immer dann, wenn die öffentliche Hand Geld für Forschungsförderung bereitstellt, das an gewerbliche Einrichtungen fließt, wiederum Mittel ausgelöst werden. Für jeden Euro aus staatlicher gibt es mindestens einen Euro aus privater Hand. Der Grund ist simpel: Wenn ein Unternehmen für ein Produkt Chancen sieht, dann macht es auch allein weiter.

Warum forscht es denn nicht einfach von Anfang an allein?

Aufsichtsräte denken heutzutage nicht langfristig genug. Die wollen hohe Gewinne in sehr kurzer Zeit. Da kommen Sie mit Zukunftsprojekten schlecht durch.

Also ganz konkret: Förderung der Drittmittelforschung?

Und die Verbundforschung. Die öffentliche Hand muss eine Initialfunktion übernehmen. Hier Kurs zu halten ist dringend notwendig, trotz knapper Kassen. INTERVIEW: JÖRN KABISCH