Lobeshymnen für das Kraftfeld

Der Schweizer Ernesto Bertarelli gewinnt mit internationaler Crew auf seiner Yacht „Alinghi“ als erster Europäer den America’s Cup und stürzt seine Landsleute in ein heftiges Segelfieber. Mittelmeerländer rangeln um Austragung des nächsten Cups

aus Kreuzlingen JAN MENDE

Noch vor wenigen Monaten hätte wohl niemand damit gerechnet: Die Schweiz gewinnt den America’s Cup in Auckland mit 5:0 gegen das Team New Zealand. Sie folgt damit Australien, den USA und Neuseeland nach. Mehr Nationen haben die Trophäe des berühmtesten Wettsegelns der Welt bislang nicht gewinnen können. Die Schweiz war vorbereitet auf diesen Triumph. Das war auch nötig. Denn Segeln und Schweiz ist keine Verbindung, die sich sozusagen natürlich ergibt.

Bis ebenjener Ernesto Bertarelli die Bühne betrat, auf den die Eidgenossen heute Lobeshymnen anstimmen. Der smarte Milliardär und leidenschaftliche Segler hatte seinen Traum seit vielen Jahren. Je näher er der Verwirklichung kam, desto mehr Landsleute nahmen daran teil. Die Schweiz kennt ihn, sein Boot und seine Taktik nun fast so gut wie die Berghänge von St. Moritz. Das Boulevardblatt Blick berichtete täglich von den neuseeländischen Winden und dem unverschämten Chauvinismus der Kiwis. Die Weltwoche sah „die Schweiz im Segelfieber“. Selbst der sonst für seine nüchterne Sprache bekannte Wirtschaftsteil der Neuen Zürcher Zeitung bedient sich eines Vokabulars aus der Welt des Segelns.

Das Segeln an sich lockt die Schweizer jedoch nicht vor den Fernseher. 200.000 schauten sich die nächtlichen Entscheidungen live an. „Das entspricht ungefähr der Zahl der aktiven Segler in der Schweiz“, sagt eine Sprecherin des Fernsehens. Dennoch kennt fast jeder Eidgenosse inzwischen die „Alinghi“. Der Grund dafür: Ernesto Bertarelli. Der Mann bewegt die Massen weitaus stärker als der Wellengang vor Neuseelands Küste. Obwohl er selbst kaum Interviews gibt, überschlagen sich die Zeitungen und Radiostationen mit Reportagen über ihn. In einem Land mit dem Hang zum Perfektionismus ist jemand wie Bertarelli ein willkommenes Vorbild. Der perfekte Schweizer eben. 37 Jahre jung, erfolgreicher Biotech-Unternehmer, einer der reichsten Männer des Landes, Abschluss in Harvard, gewinnendes Lächeln.

Dass so ein Mensch plötzlich Millionen von Franken in ein Segelboot investiert, kam vielen Eidgenossen zunächst spanisch vor. Mit jeder Siegesfahrt der „Alinghi“ wurden die Kritiker leiser. Plötzlich wurde deutlich: Der Bertarelli ist gar nicht so verrückt, sondern könnte richtig viel Geld mit dem Segelboot verdienen. Als Sieger des America’s Cup darf er nämlich den nächsten Austragungsort bestimmen – die Mittelmeeranrainer versuchen bereits seit einigen Wochen, ihn mit Geld und vielen Versprechungen vor ihre Küsten zu locken. Selbst Spaniens König Juan Carlos ist sich nicht zu schade, persönlich bei Bertarelli anzuklopfen.

Seit zwanzig Jahren ist dieser Mitglied im Yachtclub der „Société Nautique de Genève“. Bescheidenheit sei eine seiner auffälligsten Tugenden, sagen viele, die ihn kennen. Selbst Reporter, die seit Wochen am anderen Ende der Welt auf ein Interview mit dem Vater des „Alinghi“-Erfolgs hoffen, üben keine Kritik. Man müsse das verstehen, schreiben sie über Interviews, die nie gegeben wurden – schließlich sei der Mann im Stress. Dann werden erneut seine Glanzleistungen beschworen. Die Verpflichtungen des neuseeländischen Skippers Russell Coutts und des Taktikers Brad Butterworth gelten als „genialer Coup“ (Blick). Die Philosophie, ein intaktes, internationales Team unter besten Bedingungen arbeiten zu lassen, als vorbildlich. Kein anderes Syndikat habe so auf den Teamgeist gesetzt, lobt die Weltwoche. 95 Menschen aus aller Herren Länder arbeiteten für den Erfolg.

Vermerkt wird außerdem, dass der finanzielle Aufwand geringer ausfiel als der manches Konkurrenten. Der Erfolg bei der renommiertesten Segelregatta habe viele Gründe, „Geld jedoch gehört nicht dazu“, behauptet die Weltwoche. Denn die 100 Millionen Franken von Bertarelli seien im Vergleich zu anderen Syndikaten ein eher bescheidener Rahmen. Es stört kaum jemanden, dass die Mannschaft nur zu einem Bruchteil aus Schweizern bestand. Schließlich trügen Organisation und Management eindeutig helvetische Handschrift. Der Sieg der „Alinghi“ sei vielleicht gar ein wertvoller Schritt in Richtung europäischer Integration. Ein verwegener Gedanke: Ein Segelboot, ausgerechnet aus der Schweiz, trägt zum Zusammenwachsen des alten Kontinents bei.

In der Schweiz scheinen derzeit alle Gedankenspiele erlaubt zu sein. Den Grund für diese Revolution der Gedanken lieferte das Magazin Facts vor wenigen Tagen: „Wer in seine Nähe gerät, ist ihm erlegen. Wer mit ihm arbeitet, ist ihm ergeben. Was er anpackt, muss sich bewegen: Das Kraftfeld Ernesto Bertarelli.“