„Grand Prix ist viel mehr“

Warum NDR-Unterhaltungschef Meier-Beer keine Angst hat, dass die RTL-„Superstars“ seiner Show den Rang ablaufen

aus Kiel JAN FEDDERSEN

Um Jürgen Meier-Beer (52) sind sehr viele Journalisten besorgt. Der Chef der TV-Unterhaltungsabteilung beim NDR, vor allem aber Chef des Grand Prix Eurovision in Deutschland, muss seit vielen Wochen erklären, ob der Eurovisions-Event stirbt, da ja nun RTL seinen „Superstar“-Hype zelebriert. „Ich kann nicht verhehlen, dass mir gelegentlich mulmig wurde. Aber zugleich ist es absurd, dass an manchen Tagen 20 Journalisten um Interviews mit mir bitten, bei denen ich ihnen erzählen soll, wie sehr das Grand-Prix-Projekt in der Krise steckt. Das deutet ja nicht an, dass Desinteresse grassiert.“ Überhaupt dürfe der Kultfaktor Grand Prix nicht unterschätzt werden: „Da singen einen Abend lang 14 Kandidaten um die Erlaubnis, für Deutschland im europäischen Konzert zu singen. Das ist viel mehr als ein ,Superstar‘, von dem möglicherweise bald niemand mehr spricht.“

Aber das könnte auch die Beschreibung eines Schicksals sein, das schon etliche Grand-Prix-Vorentscheidungsteilnehmer selbst getroffen hat. Meier-Beer, der voriges Jahr, als Corinna May mit einem hitparadenuntauglichen Song gewann, neun Millionen Zuschauer vermelden und also die erfolgreichste ARD-Show des Jahres verbuchen konnte, sagt dazu nur: „Was ein Grand-Prix-Teilnehmer aus seinem Auftritt macht, liegt nicht in unserer Macht.“ Soll heißen: Wer die Tribüne nutzte, kam danach viel besser über die Runden als zuvor: etwa Rosenstolz, Lotto King Karl, Michelle, auch Stefan Raab – und natürlich Guildo Horn. Sie alle machten die älteste und unberechenbarste Showveranstaltung des „alten Kontinents“ (Rumsfeld) zu ihrer Sache und verschwanden nicht im Vergessen.

Meier-Beer zählt weitere Gründe auf, die er freilich ein wenig so zu Protokoll gibt, als vertraute er ihnen nicht gänzlich: „Der ‚Superstar‘ lebt nicht von der Besonderheit eines Interpreten, vom Glamour einer Nacht, sondern von der Kontinuität einer Individualisierung. Beim Grand Prix spielt all dies letztlich keine Rolle. Was zählt, ist einzig der Auftritt – und die Wertung als dessen Folge.“ Womöglich spekuliert der Mann, der 1996 in einer alten Schulaula in Hamburg-Harburg begann, aus dem uncoolsten Ding eine hippe Sache zu machen, auf das Interesse des Publikums an Kanten und Unverträglichkeiten: Beim ,Superstar‘ hätten, international gesehen, Karrieren wie die von Abba, Céline Dion, den Olsen Brothers, Cliff Richards oder Johnny Logans nicht begonnen oder gekrönt werden können: zu alt oder zu knubbelnäsig oder zu babyspeckig, also zu uninszeniert, als dass sie über ein Casting hätten hinauskommen können.

„Der unumstrittene Reiz des Grand Prix liegt für mich gerade darin, dass beispielsweise die Acts aus Finnland sich schon kulturell notgedrungen von Acts aus Spanien oder Israel unterscheiden müssen. Die jüngste Grand-Prix-Vergangenheit hat belegt, dass Verwechselbarkeiten immer bestraft wurden – mit keinen oder zu wenigen Punkten.“

Deutschland hat im Vorjahr diese Erfahrung machen müssen: Corinna May sah aus wie eine Walküre, die so tut, als sei sie keine – das reichte weder zum Superstar noch zum Grand-Prix-Kultfaktor. Skandale machen einen Grand-Prix-Event erst zum Ereignis, aber darum ist Meier-Beer nicht besorgt, zumal da „Superstar“-Heuler Daniel Küblböck aus dem Rennen geworfen wurde. „Es wird am Freitag eine große Nummer geben, weil es immer welche gegeben hat. Wir wissen nur nicht, welche das sein wird. Die Zuschauerreaktion ist Gott sei Dank nicht planbar.“ Schließlich – und das ist für ihn der größte Trumpf seines Projekts – ginge es für den deutschen Grand-Prix-Sieger weiter: bis zum Auftritt in Riga am 24. Mai.

Ob bis dahin die Juliettes und Daniels der RTL-Welt noch medialisierbar sind, ist offen. Freitag werde entschieden, wer mindestens bis Ende Mai eine großartige Zeit vor sich hat.