regierungskrise in polen
: EU-Referendum gefährdet

Ministerpräsident Leszek Miller ist das Risiko klar: Das Scheitern der polnischen Regierungskoalition nur drei Monate vor dem EU-Referendum könnte das Ende der europäischen Ambitionen des Landes bedeuten. Bislang gingen alle Parteien und auch die Öffentlichkeit davon aus, dass Miller die krisengeschüttelte Koalition seines Bündnisses der demokratischen Linken (SLD) mit der Bauernpartei PSL um jeden Preis halten will. Zumindest bis zum EU-Referendum. Denn am Ende wird es die EU-skeptische Landbevölkerung sein, die das Plebiszit entscheidet. Also müssen vor allem die Bauern überzeugt und bei Laune gehalten werden. Doch der Preis dafür wurde Miller offensichtlich zu hoch. Mit dem Satz „Ich bin und werde niemandes Geisel sein“ verwahrte er sich gegen jede Form der politischen Erpressung – und ließ die Koalition platzen.

Kommentar von GABRIELE LESSER

Tatsächlich haben die Zugeständnisse des Premiers an die Bauern bei diesen nur neue Begehrlichkeiten geweckt. Statt das Land zu stabilisieren und den Protestmärschen entgegenzuwirken, die mehr und mehr an die Demonstrationen der Solidaność in den Achtzigerjahren erinnern, sind sich die Bauern ihrer Macht bewusst geworden.

Seit Wochen bereits mobilisiert Bauernführer Andrzej Lepper seine Anhänger. Auch unter den Stahlkochern, Bergarbeitern und Krankenschwestern gärt es. Die Arbeitslosigkeit hat mit 18,7 Prozent einen neuen Höchststand erreicht. Immer mehr Menschen in Polen können die Miete nicht mehr bezahlen und verlieren das Dach über dem Kopf. Die Angst vor Armut und der damit einhergehenden Kriminalität wird von den radikalen Parteien des Landes noch geschürt. „Die EU ist an der Misere im Land schuld!“, hämmern sie den verzweifelten Menschen ein. Und immer mehr Polen glauben dies auch tatsächlich.

Der Exkommunist Miller, der vor knapp anderthalb Jahren im Triumph den Posten des Ministerpräsidenten im freien Polen übernahm, steht nun vor den Scherben seiner Politik. Denn keine der gemäßigten Parteien will eine Koalition mit der SLD eingehen. Immerhin besteht für ihn noch eine Hoffung. Die radikalen Parteien im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, lösen sich allmählich auf. Allein die Organisation Leppers haben in den letzten Monaten 14 Abgeordnete verlassen. Wenn es Miller gelingt, diese nunmehr unabhängigen Abgeordneten für sich zu gewinnen, könnte seine Minderheitsregierung doch noch Erfolg haben.

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