schurians runde welten
: Leben ist keine Auswärtsfahrt

“Es kann aber keine deutsche Lösung geben, es kann nur eine europäische Lösung geben. Und wenn die auf dem Tisch liegt, dann kann man sich dazu äußern.“ (Karl-Heinz Rummenigge)

Gott trug Schlappen. Er lehnte an der Rezeption eines schottischen Jugendhotels. Sein Blick schweifte, blieb nur hängen an M., der eine Fußballkappe trug. Gott stockte, schürzte rätselnd die Oberlippe über einen prächtigen Überbiss: Noch im reifen Alter wird er am Daumen genuckelt haben. Dann schlurfte er in seinem gelb-weißen Trikot zurück zum Fahrstuhl. Es hing ihm bis zu den Knien, fast stolperte er – hinten drauf stand GOD.

Ich traf Gott in Glasgow und er war nicht allein. Jugendliche aus aller Welt versammelten sich nach Neujahr in der Stadt des Old Firms, des Fußballderbies zwischen Celtic und Rangers. Und da wo der Fußball überwintert, treffen sich Süchtige. Was mit dem Spleen einiger Enthusiasten begann, scheint sich zur Jugendbewegung auszuwachsen. Ground-Hopper nennen sich die jungen Männer, die viel Zeit haben und zu wenig Phantasie, was sie mit ihr anfangen können. Deshalb machen sie eine Lebensweise aus dem, was sie umtreibt: Fußball gucken und Biertrinken. Ihr Leben ist eine Auswärtsfahrt. Ihr Lebenssinn: Möglichst viele Fußballstadien in möglichst vielen Ländern abzuklappern. Haben sie alle Sportplätze der Bells Scottish Football League beisammen, geben sie sich Punkte. Und zum Beweis sammeln sie Eintrittskarten oder Digitalfotos, um sich in den Kneipen von Jugendhotels in Fußballweltläufigkeit zu messen.

Glasgow ist für sie der richtige Ort. Hier ist nur Bier und Fußball – wenn das die Zukunft ist, fordere ich vorauseilend die sportive Prohibition. Gegenüber eines Fanshops der Glasgow Rangers liegen an einem Laternenmast Blumen, um ihn herum gewickelt grün-weiße Vereins-Schals der Celtics. Dazu ein Abschiedsgruß, es muss jemand zu Tode gekommen sein. In den Pubs kurbeln die Wirte enorme Leinwände herunter für eine Dauerfußballbestrahlung mit einem 36-stündigen Fernsehexperiment, bei dem sich Gerry Linneker pausenlos mit drei Veteranen unterhält, die auf Drehstühle gezwängt wurden, Schenkel an Schenkel und über den Ausgang von Pokalspielen monologisieren und Tor-Zeitlupen analysieren, als untersuchten sie das menschliche Erbgut. Das 1:0 der Celtics gegen Rangers habe ich dadurch bestimmt 34-mal gesehen. Das Allerwelts-Abstaubertor raubt mir seitdem Gehirnzellen, auf denen wirklich schönere Dinge gespeichert werden könnten.

Hopper trifft man im Hotel und im Stadion: Vierte Liga, die Bells-League, Queens Park ist Schottlands ältestes Team und darf deshalb im Nationalstadion spielen vor knapp 500 Zuschauern für je acht Pfund Eintritt. Unweit von mir saßen zwei Hamburger Ground-Hopper, zu dickleibig, breitbeinig, grundsätzlich nölend, überheblich. Weil sie es fußballerisch zu nichts gebracht haben, tun sie so, als ob sie Experten wären, weil sie in Wales oder Kroatien jeden Flutlichtmasten kennen.

Mit meinen Gedanken über die Fußballjugendbewegung bin ich glücklicherweise nicht allein: Glasgow, Winterlager der Stadienhüpfer, hat eine fiese Gegenstrategie entworfen gegen Fußball-Hamburger, Gladbacher, Norweger und natürlich auch gegen God:

An bald jeder Pubtür hängt ein Verbotszettel: No colours allowed. Keine Trikots, vor allem keine mit God. Die Prohibition gegen zu viel Fußball hat einen ersten Sieg errungen. Jetzt müssen nur noch die Leinwände weg. CHRISTOPH SCHURIAN