Der Bremer Rürup

Ein erfahrener und kritischer Politikberater: Frank Nullmeier lehrt schon seit einem Semester an der Bremer Uni, aber der Rentenexperte ist noch nicht dazu gekommen, seine Kartons auszupacken

„Schröders Regierungserklärung war abgrundtief schlecht“

taz ■ Der Herr Professor kommt cum tempore. Eine Viertelstunde nach dem vereinbarten Termin schlendert Frank Nullmeier lässig in sein Büro im Bremer Zentrum für Sozialpolitik am Barkhof – hier leitet der Politikwissenschaftler seit Herbst 2002 die Abteilung „Theorie und Verfassung des Wohlfahrtsstaats“. Nullmeier hatte den Reporter schlicht vergessen, was angesichts der Anfragen und Bittgesuche, die derzeit auf den grau melierten Gelehrten einprasseln, auch kein Wunder ist.

Da ist es ein Glück, dass Frank Nullmeier Frau Steiner hat. Seine erfahrene Vorzimmerchefin kann so schnell nichts umhauen, schließlich hat sie schon politologische Berühmtheiten wie Manfred G. Schmidt und Claus Offe umsorgt, die vor Nullmeiers Vorgänger in dem kleinen Professorenzimmer gehaust hatten. Doch derart viele Aktenpakete wie derzeit hat Frau Steiner, die in einem Leitz-Ordner „nicht wahrgenommene Einladungen nach Orten“ sammelt, wohl selten für ihre Chefs in Empfang genommen. Der simple Grund: Nullmeier ist Mitglied in der Kommission zur Reform der sozialen Sicherungssysteme, also: der Rürup-Kommission.

Die Besetzung dieser Kommission sei mit 26 Mitgliedern „zu groß“, stöhnt Nullmeier, dem auch missfällt, dass das „Spiel zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden“ dort fröhliche Urständ feiert. Ein „merkwürdiges Ding“ sei diese Kommission, sagt er, eine „komische Mischform“ aus Politikberatung und Verhandlung. Nullmeier reist derzeit alle zwei bis drei Wochen nach Berlin, arbeitet sowohl in der rentenpolitischen Arbeitsgruppe der Rürupianer mit als auch in der „Querschnittsgruppe“, einer Art Konfliktregelungsgremium.

Frank Nullmeier, 1957 geboren, hat in Hamburg Politik, VWL und Finanzwissenschaften studiert und sich besonders mit Veröffentlichungen zur Rentenpolitik einen Namen in der politologischen Szene gemacht. In Hamburg steuerte er als „Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter“ ein Projekt zur Modernisierung von Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen der dortigen Universität – eine Sysiphusaufgabe. „Manche Strukturen sind einfach so, wie sie sind“, zuckt er mit den Schultern.

Politikberatung wie jetzt in der Rürup-Kommission ist für Frank Nullmeier nichts Neues. Schon beim letzten Rentenreformgesetz der Ära Blüm wurde er zu Anhörungen geladen, auch an der „Riester-Rente“ durfte er mitwerkeln. Und vor allem die Rentenpolitiker der grünen Bundestagsfraktion griffen in den letzten Jahren gerne auf Nullmeiers Fachwissen zurück.

Mit der aktuellen Performance von Rot-Grün ist er dennoch alles andere als zufrieden. Seit dem Jahre zurückliegenden Abgang von Bodo Hombach und Oskar Lafontaine sei im Hause Schröder „keine Richtungsentscheidung mehr“ getroffen worden, beklagt er. Stattdessen könne man ein „Gerangel von wenig konzeptionell denkenden Personen“ beobachten, „die ad hoc ihre Linie festlegen“. Mal suchten die den Kompromiss mit den Gewerkschaften, dann wieder wirke ihre Politik „total neoliberal“. Schröders Regierungserklärung nach der letzten Wahl sei „abgrundtief schlecht“ gewesen.

In Bremen scheint sich Nullmeier wohl zu fühlen: Wissenschaft werde hier – anders als in Hamburg – „in hohem Maße geschätzt“, sagt er. Besonders die „Wirtschaftsansiedlungen rund um die Uni“ und „das Wagnis“ der IUB haben es ihm angetan.

„Tschautschau“, ruft einem der Professor zum Abschied hinterher. Sehen kann man ihn von der Türe aus allerdings nicht mehr – Frank Nullmeier ist hinter etwa 20 Umzugskartons verschwunden, die in seinem Zimmer des Auspackens harren. Markus Jox