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: Lasst Blumen singen: Menscheln beim „Berliner Fenster“

Nachrichten sind erst wirklich wichtig, wenn sie im „Berliner Fenster“, dem U-Bahn-Fernsehen waren. Das ist so klar wie Kloßbrühe. Mich wundert, wieso nicht viel mehr Kurz- und Lang- und Studentenfilme das Thema U-Bahn-Fernsehen behandeln. Man könnte sich so schöne, förderungsträchtige, berlintypische Geschichten ausdenken, mit Prenzlbergern, die sich unsterblich in jemanden vergucken, der in der Sparte „Berlin Privat“ vorgestellt wird oder in der „Tiere suchen Menschen“-Rubrik seinen Dobermann an verantwortungsbewusste Hände abgeben will und dann im Laufe des Kurz- oder Lang- oder Studentenfilms in den Straßen Berlins nach ihm suchen. Ein richtiges Wolfgang-Becker-Thema ist das.

Dazu kommt der einzigartige Aspekt des Mit-fremden-Menschen-im-Kollektiv-Erlebens der Nachrichten, den es eigentlich seit dem Ende der Wochenschauen nicht mehr gibt: Neulich war ich zum Beispiel dabei, wie ein Junkiepärchen eine Woche nach Saddam Husseins Festnahme das erste Mal davon erfuhr, im U-Bahn-Fernsehen natürlich. Die Frau, die zufällig mit dem Kopf im Nacken gedöst hatte und darum um die rot-schwarzen Schlagzeilen „Hussein-Prozess: Todesstrafe für Löwen?“ nicht herum kam, stieß irgendwo zwischen Kottbusser Tor und Jannowitzbrücke ihren mit dem Gesicht nach unten dösenden Mann an und rief in dem ihr eigenen lauten Junkie-Timbre: Ey, guck mal, die ham den Hussein gepackt!!! Ey guck doch mal!!!! Und ich wusste: Wenn ich jetzt wollte, könnte ich mit den beiden ein Gespräch über ein aktuelles politisches Thema beginnen, denn sie haben gerade die gleichen Informationen wie ich bekommen. So etwas verbindet.

Oft habe ich auch schon versucht, ein aufreizendes Gegenüber abzupassen, damit ich ihm bei einem passenden Ausgehtipp aus den kleinen Bildschirmen (eine irische Stepp-oder-Gummistiefel-Ballett-Aufführung etwa) aufmunternd zuzwinkern kann. Allerdings habe ich das Gefühl, dass die Ausgehtipps etwas nachlassen, seit Anfang des Jahres die Kooperation des U-Bahn-Fernsehens mit dem Berliner Kurier gescheitert und stattdessen die BZ eingesprungen ist: Anstatt für anständige Beatkonzerte wird fast nur noch für eine ominöse Blumen-CD geworben, mit deren Erwerb man den Botanischen Garten unterstützt, so ganz habe ich das noch nicht verstanden, zum Beispiel ist mir nicht klar, was genau die Blumen bei der Produktion dieser CD zu tun hatten.

Neulich entbrannte in der U 15 fast eine Handgreiflichkeit, weil irgend so ein Zuchthengst einer anderen Testosteronschleuder im Weg stand, und die Testosteronschleuder darum nicht in der Lage war, die Berliner-Eisbären-Ergebnisse zu lesen. „Ey, ist dein Vater Glaser?“, muss man in einem solchen Fall fragen. Doch die Testosteronschleuder schubste den Zuchthengst nur unhöflich zur Seite, und der Zuchthengst fuchtelte als Antwort gleich mit den kleinen Fäusten herum, was völlig in Ordnung wäre, wenn er dazu sagen würde: „Die riecht nach Friedhof, und vor der hab ich selbst Angst!“. Tat er aber nicht, er ließ nur ein paar Unhöflichkeiten los.

Ein Kreuz ist das mit den BerlinerInnen und der Höflichkeit. Die würden sich doch allesamt im dunklen Schlafzimmer beim Gähnen nicht mal die Hand vor den Mund halten, da bin ich fast sicher. Daran erkennt man nämlich einen wirklich höflichen Menschen. Genauso wie man eine wirklich feine Dame wie Marilyn Monroe oder mich daran erkennt, dass wir auch im Winter Zehennagellack tragen, denn es könnte ja passieren, dass man mit dem Zeh im Badewannen-Wasserhahn hängen bleibt, so wie Marilyn Monroe in „Das verflixte siebente Jahr“, und dann kommt der Klempner und rettet einen, und vor dem wollen wir uns ja nicht ob unserer nackten Fußnägel blamieren!

JENNI ZYLKA