Fundgrube für Arzneimittelforschung

Schwämme sind nicht nur faszinierende Tiere, die erst jetzt so richtig erforscht werden. Sie könnten auch eine wichtige Rohstoffquelle für Arzneimittel werden. Noch suchen Forscher nach geeigneten Methoden, sie gezielt zu vermehren

Rot-gelb leuchtet das Gebilde mit seinen fingerartigen Fortsätzen. Die Haut fühlt sich wie Leder an, die Körpermasse erinnert an weichen Gummi. Es ist ein Meeresschwamm mit der wissenschaftlichen Bezeichnung Aplysina. Werner Müller hat ihn soeben aus fünf Metern Tiefe vom Grund des Limski-Fjordes in Kroatien geholt.

Der 12 Kilometer lange, maximal 500 Meter breite Meeresarm schneidet tief in das Hinterland der Westküste Istriens. Der Limski-Fjord ist ein Meeresschutzgebiet. Baden, Fischen und Tauchen sind verboten.

Müller und zwei Doktoranden von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz tauchen mit einer Sondergenehmigung der kroatischen Behörden im Dienste der Wissenschaft. „Es gibt nur ganz wenige Meeresgebiete auf der Welt, die eine so hohe Artendichte zu bieten haben“, schwärmt Müller. Das sind ideale Bedingungen für den Meeresbiologen. „Kein anderes Lebewesen hat ein so hohes Potenzial für die Entwicklung von Medikamenten und andern Wirkstoffen.“ Rund 7.500 Schwammarten sind heute bekannt.

Müller geht aber davon aus, dass es mindestens fünfmal so viele sind. Sie haben im Laufe der Evolution eine riesige Vielfalt an Formen entwickelt. Schwämme sind, wie man erst seit rund 10 Jahren weiß, Tiere. Sie haben zwar keine Sinnesorgane, kein Gehirn und keine Muskeln. Aber ihre Körperzellen, ihre Ernährungsweise und ihr genetischer Code kennzeichnen ihre Zugehörigkeit zum Reich der Tiere.

Sie leben bevorzugt in den Flachwasserzonen der Meere, kommen aber auch in der Tiefsee und im Süßwasser vor. Ihre Nahrung filtern sie aus dem Wasser. Dazu strudeln die Schwämme mit winzigen Geißeln täglich das Tausendfache ihres Körpergewichts auf. Doch mit dem Essen, das aus Algen, Bakterien und organischen Abfällen besteht, gelangen auch viele unerwünschte Gäste, vor allem Viren, Pilze und Bakterien, ins Körperinnere.

„Schwämme verfügen über ein hoch entwickeltes Immunsystem zur Abwehr dieser Feinde“, erklärt Müller. Dazu zählen auch Substanzen, die das Schlüsselenzym bei der Entstehung von Tumoren außer Kraft setzen können. Andere „bioaktive Substanzen“ hemmen Entzündungen, wirken als Zellgift oder haben sich auf die Bekämpfung bestimmter Bakterien spezialisiert. Es sind diese Abwehrstoffe, die Müller interessieren.

Die Proben von Aplysina und anderen Schwämmen, die er vom Meeresgrund holt, werden später im Labor getrocknet und in Zellkulturversuchen auf Wirkstoffe untersucht, die das Potenzial haben für ein Medikament. Einige dieser Substanzen, darunter Avarol, ein potenzielles Mittel gegen Aids, werden bereits im Tierversuch getestet.

Einer breiten medizinischen Anwendung steht indes ein großes Hindernis im Weg: Die Wirkstoffe sind in der Natur nur in winzigen Mengen verfügbar. Gerade 300 Gramm lassen sich aus einer Tonne Schwammgewebe gewinnen. Schon für ausgiebigere klinische Versuche wären die Meeresböden in kurzer Zeit leer geräumt – von einer kommerziellen Anwendung ganz zu schweigen.

Müller und Kollegen weiterer deutscher Universitäten und der meeresbiologischen Station in Rovinj in der Nähe des Limski-Fjordes haben deshalb vor zwei Jahren das „Kompetenzzentrum Biotecmarin“ gegründet. Eines der Forschungsziele besteht in der Entwicklung von Bioreaktoren, in denen Schwammgewebe gezielt gezüchtet werden könnte. Im Limski-Fjord laufen zudem Versuche, Schwämme auf speziellen Unterwasserplattformen zu hältern.

Müller hat inzwischen mit Kollegen einen kommerziellen Ableger, die Biotecmarin GmbH, gegründet. Rasche Erfolge in Form von neuen Medikamenten mag er allerdings nicht versprechen. Es werde noch einige Jahre dauern, bis es so weit ist.

URS FITZE