Ein Mann für den Mars

Jeder Halbvernünftige würde George W. Bush für verrückt erklären. In der Politik wird es visionär genannt, das Geld statt in Bildung und Gesundheit in einen toten Roten Planeten zu investieren

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Mit George W. Bush verhält es sich wie mit einem Familienvater, der das Haushaltsvermögen im Casino verspielte, kein Geld für die Ausbildung seiner Kinder und Sanierung seines asbestverseuchten Hauses hat, der einen Nachbarn überfiel, da er sich von ihm bedroht fühlte, nun auf Bewährung entlassen wird und seiner Frau, die in zwei Jobs Überstunden schiebt, um die Schulden abzubezahlen, eröffnet, in die Arktis reisen und dort eine Hütte aufbauen zu wollen, da dieses Projekt von ungeheurem Nutzen für sie alle sein würde.

Jeder halbwegs Vernünftige würde diesen Mann für verrückt erklären und ihm eine Therapie verordnen. In der Politik wird solch ein Verhalten kühn und visionär genannt.

So am Mittwoch geschehen in Washington, wo US-Präsident Bush ankündigte, zurück in die Zukunft und nach vorn zum kalten, toten Mars zu wollen. Er entfaltete den Plan für ein gigantisches Raumfahrtprogramm, dessen Kernstück die Kolonisierung des Mondes sein soll. Dieser soll dann als Sprungbrett dienen, um von dort zum Roten Planeten aufzubrechen. „Es ist an der Zeit für Amerika, den nächsten Schritt in der Erforschung des Weltalls zu gehen.“

Die Pläne sehen im Detail vor, die internationale Raumstation ungeachtet aller technischen Probleme bis 2010 fertig zu stellen. Dazu sollen die Flüge des Space Shuttle, die nach dem Absturz der Columbia ausgesetzt wurden, so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden. Parallel soll ein neuer Typ Raumgleiter entwickelt und erprobt werden, um bis 2008 einsatzbereit zu sein. Eine bemannte Station auf dem Mond soll bis spätestens 2020 aufgebaut werden. Von dort sei die Reise des Menschen zum Mars nur ein „logischer Schritt“, prophezeit Bush. Diese Aussichten dürften in den Chefetagen der US-Luft- und Raumfahrtindustrie zu Freudentänzen über das gigantische Subventions- und Arbeitsbeschaffungsprogramm geführt haben. Auch Nasa-Chef Sean O’Keefe hatte große Augen, als er sagte, die Raumfahrt habe „niemals einen größeren Freund als den jetzigen Präsidenten“ gehabt. Doch nüchtern betrachtet steht die Realisierung des Megaprojekts in den Sternen.

Oder mehr als das.

Da sind zunächst die Kosten. Das Weißes Haus nennt bewusst nur vage Kalkulationen. Schlappe zwölf Milliarden Dollar in den ersten fünf Jahren plus weitere elf Milliarden durch Umschichtungen im Nasa-Haushalt und eine Milliarde vom Kongress sollen nach Bushs Vorstellungen für den Anfang reichen. Seriöse Schätzungen gehen jedoch von mehreren hundert Milliarden bis zu einer Billion Dollar aus.

Die Opposition, aber auch Republikaner schütteln mit dem Kopf, wie der Mann im Weißen Haus Geld aus dem Fenster schmeißt, das noch nicht mal vorhanden ist. Längst haftet Bush das Image des Haushaltsplünderers an: Krieg, Steuersenkung, Antiterrorkampf, Milliardenprogramme für Senioren und nun auch noch Weltraumabenteuer. Stephen Moore vom einflussreichen konservativen „Klub für Wachstum“ nennt die Pläne daher „finanziell völlig absurd“. Kolumnistin Anne Applebaum bezeichnet sie in der Washington Post als „Mission ins Nichts“. Und der demokratische Präsidentschaftskandidat Dennis Kucinich witzelte: „Was will Bush auf dem Mars? Wahrscheinlich nach den versteckten irakischen ABC-Waffen suchen.“

Auch im Volk regt sich wenig Euphorie. Mehr als die Hälfte der Amerikaner will laut Umfragen die Milliardensummen lieber ins Bildungs- und Gesundheitssystem stecken. Angesichts der Skepsis ist es mehr als fraglich, ob der Kongress den Plänen zustimmen wird.

Für Bushs Image und seinen Wahlkampf dürfte dies nebensächlich sein. Er bürdet das Projekt ohnehin seinen Nachfolgern auf, kann sich heute als Visionär präsentieren und schafft es, von den drängenden Problemen im In- und Ausland abzulenken.

John F. Kennedy lässt grüßen. Auch er benutzte das Mondprogramm, um sein Invasionsdebakel in der kubanischen Schweinebucht vergessen zu lassen. Schon jetzt haben Bushs PR-Strategen erreicht, dass die Medien seit Wochen vom „Mars-Fieber“ gepackt sind. Tote GI und Iraker sowie abgeschossene Hubschrauber nahe Bagdad sind oftmals nur noch Randnotizen.

Vielleicht trägt der Vergleich mit Kennedy sogar weiter. Zwar betonen die Kommentatoren den Unterschied zum Kalten Krieg: kein Wettrennen, Wettrüsten mit dem Feind usw. Doch Bush und seine Freunde des Weltalls im Pentagon hegen handfeste geopolitische Hintergedanken, wie der republikanische Senator Sam Brownback durchblicken ließ.

„Man will immer Überlegenheit“, sagte er und schielte dabei auf China, das im Oktober seinen ersten Menschen ins All geschickt hatte und an einer eigenen Mond- und Raumstation bastelt. Das Imperium schlägt also zurück.