Der Meister wird Lehrling

In der Volleyball-Bundesliga ist der SCC Berlin derzeit eine Klasse für sich. In der Champions League allerdings kommt er wie beim 1:3 gegen Piräus über die Rolle des Lernenden kaum hinaus

AUS BERLIN FRANK KETTERER

Spieltage in der Champions League sind Festtage in der Sömmeringhalle zu Charlottenburg, der Heimstadt des deutschen Volleyball-Meisters SCC Berlin, und es fällt nicht schwer, das zu erkennen: Gepritscht wird an solchen Tagen auf einem grünen Teppich aus ganz besonderem Kunststoff, um das Spielfeld herum wuseln die Kameramänner vom Fernsehen, die sonst nie den Weg zu den Schmettermännern finden, und auch auf den Rängen drängeln sich deutlich mehr Menschen als sonst. Am Mittwochabend, zum dritten Spiel der Berliner in der europäischen Königsklasse, waren rund 2.000 Zuschauer in die Halle geströmt, und als sie nach gut zwei Stunden wieder gingen, nahmen sie es ihrer Mannschaft nicht übel, dass sie zum zweiten Mal in dieser Champions-League-Saison verloren hatte. 1:3 (22:25, 26:28, 25:18, 17:25) hieß es gegen Olympiakos Piräus, den griechischen Meister. Damit können die Berliner leben.

Spieltage in der Champions League sind nämlich auch Studientage für den SCC, da machen sie sich nichts vor. „Durch die Spiele dort verbessern wir unsere Qualität“, gibt SSC-Trainer Mirko Culic unumwunden zu. Entsprechend habe die Champions League „eine große Bedeutung für unsere Entwicklung.“ Culic, ein Mann mit wachem Blick, wird gern konkreter. „Auf diesem Niveau“, sagt er, „passiert alles viel schneller. Da bleibt keine Zeit nachzudenken. Da musst du intuitiv reagieren.“ Er sagt auch: „Um hier mithalten zu können, müssen wir unser bestes Volleyball zeigen.“

Genau darum geht es: Die Mannschaft in jene Situationen zu bringen, in die sie sonst kaum gerät – im Training gar nicht, in der Bundesliga selten. „Da reicht es manchmal, 70 Prozent abzurufen – und wir gewinnen trotzdem“, benennt Culic ein bekanntes Manko der deutschen Eliteklasse, das ein Manko des deutschen Volleyballs allgemein geworden ist, zumindest bei den Männern. „In der Bundesliga haben wir kaum Spiele, in denen wir so unter Druck geraten“, sagt Robert Kromm, 19 Jahre alt und gegen die Griechen einer der besten Berliner, und nennt die direkte Auswirkung dessen: „Dadurch können wir auch nicht lernen, mit dem Druck umzugehen und ihm standzuhalten.“ Nationalspieler Marco Liefke pflichtet bei: „Wir haben in der Liga eine Menge Spiele, die nicht nur stressarm sind, sondern stressfrei.“ Ergo: „Da wirst du psychisch null gefordert.“

„Die Mannschaft muss öfter in Situationen kommen, wo ein Schlag oder eine Aktion viel oder alles entscheiden kann“, fordert deshalb Mirko Culic, genau dort nämlich trennt sich beim Volleyball auf höherem Niveau die Spreu vom Weizen. Wofür das Spiel gegen Piräus beispielhaft war: Vor allem in den ersten beiden Sätzen hielten die Berliner lange mit und schienen rein spieltechnisch gleichwertig, als die Sätze dann aber auf die Zielgerade einbogen, hatten jeweils die Mannen von Olympiakos die Nase vorne. „Eine gute Mannschaft hat Spieler, die im entscheidenden Moment die richtigen Prioritäten setzen und die wichtigen Punkte machen“, sagt Culic. Genau in dieser Qualität lag am Mittwoch der größte Unterschied zwischen Berlinern und Griechen. „Drei Fehler hintereinander dürfen dir auf diesem Niveau nicht passieren“, hat der junge Kromm erkannt.

Ein exklusives Problem der Berliner ist das freilich nicht, es schlägt vielmehr durch bis zur Nationalmannschaft, was gerade erst bei der Olympiaqualifikation in Leipzig zu beobachten war: Auch dort spielten die deutschen Männer gegen Spitzenteams wie Holland oder sogar Russland in den einzelnen Sätzen munter und scheinbar ebenbürtig mit – und verloren am Ende doch jedes Mal. Nicht umsonst empfiehlt Bundestrainer Stelian Moculescu, in Personalunion auch Trainer in Friedrichshafen, seinen Schützlingen, zur Weiterbildung in die stärkeren Ligen im Ausland zu wechseln, weil sie nur dort dauerhaft auf hohem Niveau gefordert werden. „Sie müssen in den Dschungel, und dort müssen sie Krieger werden“, hat Moculescu kürzlich gesagt.

Als Vereinscoach des VfB hat dem Rumänen in den letzten Jahren zudem die Champions League als Schulzimmer gedient. Dort lernten die Friedrichshafener jenen Stoff, der ihnen in der Bundesliga verwehrt geblieben wäre – und erarbeiteten sich dadurch jene Vormachtstellung im deutschen Volleyball, die ihnen fünf Meisteschaften in Folge bescherte, bevor letzte Saison der SCC diese Serie durchbrach.

„Die Champions League war der große Trumpf des VfB“, sagt jedenfalls Mirko Culic. Nun, da er das gleiche Ass im Ärmel hat, will er die Europaliga dazu nutzen, seine Berliner dauerhaft auf Augenhöhe zum großen Konkurrenten vom Bodensee halten zu können – und möglichst noch ein wenig darüber.

„Die Champions League ist für uns das Warmlaufen für die Bundesliga-Play-offs und die Pokalendrunde“, sagt Culic. Soll heißen: Dann gehen die nationalen Aufgaben für die Berliner erst so richtig los, die neun Bundesligaspiele bisher waren wohl doch eher Pillepalle, was sogar in der Tabelle abzulesen ist. Dort steht der SCC mit 18:0 Punkten und gerade mal drei verlorenen Sätzen auf Rang eins. „Ein bisschen komisch ist das schon“, findet auch Marko Liefke. Noch komischer wird es durch die Tatsache, dass der SCC von Beginn an kaum wirklich Chancen hatte, die erste Champions-League-Runde, in der Sisley Treviso sowie AZS Czestochowa die weiteren Gegner sind, zu überstehen. Für die Stärke der Bundesliga spricht das wirklich nicht.