Ajatollah Chamenei will die Wogen glätten

Irans Revolutionsführer fordert den Wächterrat auf, die Ablehnung der Kandidaten für die Parlamentswahlen zu prüfen

BERLIN taz ■ Offenbar unter dem Druck massiver Proteste hat der iranische Revolutionsführer Ali Chamenei die Mitglieder des konservativen Wächterrats angewiesen, die Ablehnungen von Bewerbern zu den Parlamentswahlen am 20. März noch einmal zu überprüfen. Das für die Überprüfung von Kandidaten zuständige Gremium hatte 3.605 von insgesamt 8.157 Kandidaten als „ungeeignet“ zurückgewiesen, darunter 83 Abgeordnete, die für ihre Wiederwahl kandidieren wollten. Die Parlamentarier reagierten mit einem Sitzstreik, der am Sonntag begonnen hat und bis zur Rücknahme der Ablehnungen fortgesetzt werden soll.

Es sei nicht möglich, mit Sicherheit zu sagen, ob jemand sich für eine bestimmte Aufgabe eigne, sagte Chamenei. „Wichtig ist, dass man Erfahrungen mit einbezieht und Vernunft walten lässt. Dabei muss man sowohl die negativen als auch die positiven Eigenschaften der Bewerber berücksichtigen.“

Die Mitglieder des Wächterrats seinen „wertvolle, zuverlässige und vertrauenswürdige Persönlichkeiten“, doch sollten sie ihre Entscheidung noch einmal überprüfen und darauf achten, dass „niemandem Unrecht geschieht“. Natürlich sollte der Wächterrat auf keinen Fall vor „Halbstarken“ zurückweichen, betonte Chamenei. Bezüglich abgelehnter Abgeordneter meinte er: „Wenn diese schon einmal als geeignet eingestuft worden sind, sollte man davon ausgehen, dass die Einschätzung auch jetzt zutrifft, es sei denn, man kann das Gegenteil beweisen.“

Seit der Ablehnung eskaliert die Lage von Tag zu Tag. Die streikenden Abgeordneten erhalten immer mehr Unterstützung aus der Bevölkerung. Der größte Studentenverband des Landes, Tahkim Wahdat, forderte die Streikenden auf, dieses Mal standhaft zu bleiben und sich nicht auf Kompromisse einzulassen.

Es gab aber auch Beschwichtigungsversuche. Am Dienstag forderte Staatspräsident Chatami, der selbst die Entscheidung des Wächterrats kritisiert hatte, die Abgeordneten auf, ihren Streik vorübergehend zu beenden. Er versprach, sich für die Rücknahme der Ablehnungen einzusetzen. Doch seine Aufforderung wurde nicht befolgt. Der Teheraner Abgeordnete Mohsen Armin sagte, die Abgeordneten hätten einstimmig beschlossen, den Streik fortzusetzen. Mohammed Resa Chatami, Bruder des Staatspräsidenten und Vorsitzender der größten Reformpartei, Moscharekat, erklärte, sollten die abgelehnten Kandidaten nicht zugelassen werden, habe seine Partei „andere Pläne, die wir später bekannt geben werden“. Er selbst, zurzeit Vizepräsident des Parlaments, gehört zu den Abgelehnten.

Eine Meldung vom Dienstagabend, Chatami habe mit Rücktritt gedroht, wurde wenige Stunden später vom Büro des Präsidenten dementiert. Anlass zu der Meldung lieferten die Äußerungen Chatamis vor einer Versammlung von Provinzgouverneuren. Er hatte die Gouverneure aufgefordert, standhaft zu bleiben, und hinzugefügt: „Wir werden alle zusammen bleiben oder alle zusammen gehen.“

In Iran wird die Intervention des Revolutionsführers Chamenei eher als ein Versuch betrachtet, den Streikenden den Wind aus den Segeln zu nehmen. Jeder in Iran weiß, dass die Mitglieder des Wächterrats ohne die Zustimmung des Revolutionsführers eine so folgenschwere Maßnahme nie gewagt hätten. Nun wird vermutlich der Wächterrat einen Teil der Ablehnungen zurücknehmen, um den Ausschluss des größeren Teils, darunter den der wichtigsten Wortführer der Reformbewegung, legitim erscheinen zu lassen. Die Frage ist, ob sich die Abgeordneten mit dieser Scheinlösung zufrieden geben oder ob sie ihren Streik fortsetzen.

BAHMAN NIRUMAND