Neue Auftrags-Schlappe für Stolpe

Der Bundesverkehrsminister muss ein Gutachten zu Kundenrechten bei der Bahn neu ausschreiben, weil er den Zuschlag zunächst dem Ex-Chefjuristen der Deutschen Bahn erteilt hatte. Verbraucherschützer haben schon konkrete Vorstellungen

Eine über 100 Jahre alte Verordnung schließt eine Haftung für die Bahn bislang meist aus

VON HANNA GERSMANN

„Der Zug hat 40 Minuten Verspätung“, dröhnt es aus dem Lautsprecher am Bahnsteig. Die Wartenden sind verärgert, ihre Anschlusszüge werden sie verpassen und möglicherweise auch wichtige Termine. Entschädigung? Gibt es für die rund 25 Millionen Kunden, die täglich Bahnen oder Busse nutzen, selten. Das soll sich ändern. Auf Druck des Deutschen Bundestages hat Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) ein Gutachten zu Fahrgastrechten im öffentlichen Personennahverkehr in Auftrag gegeben. Allerdings bewies er dabei keine glückliche Hand. Er engagierte ausgerechnet den Juristen Rainer Freise, der auf der Gehaltsliste der Deutschen Bahn AG steht. Der gab den Auftrag nun zurück.

Zu heftig war die Kritik von verschiedenen Seiten, jemand wie Freise sei nicht neutral. So brachte etwa die FDP-Bundestagsfraktion einen Antrag in den Bundestag ein, die Vergabe der Studie „Qualitätsoffensive im öffentlichen Personennahverkehr – Verbraucherschutz und Kundenrechte stärken“ zu revidieren. Freise sei „erkennbar kein geeigneter Gutachter“, um die „einzigartigen Haftungsprivilegien“ der Deutschen Bahn in Frage zu stellen.

Tatsächlich war Freise mehrere Jahre Chefjurist der Deutschen Bahn, derzeit ist er der Geschäftsführer der Bahn-Tochter Deutsche Verkehrs-Assekuranz-Vermittlungs-Gesellschaft. Stolpe-Sprecher Michael Zirpel betonte dennoch gegenüber der taz: „Wir halten ihn nach wie vor für fähig, ein Gutachten zu schreiben.“ Freise selbst sagte der taz, er könne den „politischen Wirbel“ nicht verstehen. Doch wolle er den rund 190.000 Euro schweren Auftrag, den er Anfang Dezember erhielt, nun nicht mehr.

Inwieweit der Rückzug mit dem Ministerium verabredet ist, bleibt unklar. In jedem Fall hat der Verkehrsminister in einem Punkt Glück: Freise will keine Entschädigung.

Die Studie wird Stolpe nun in den nächsten Wochen neu ausschreiben, so Zirpel. Geklärt werden soll: Welche Rechte haben Reisende in anderen EU-Staaten? Was kann die Bahn von den Fluggesellschaften lernen? Wie hoch muss der Schadenersatz sein?

Bisher schließt die über 100 Jahre alte Eisenbahnverkehrsordnung in Deutschland eine Haftung für die Deutsche Bahn weitgehend aus. Nur wer sein Ziel wegen verspäteter Züge nicht bis ein Uhr nachts erreicht, hat Anspruch auf Taxifahrt oder Übernachtung.

Die Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) will die Kundenrechte seit langem stärken. Nur wollen einige SPD-Politiker nicht mitspielen. Dagegen plant auch die EU-Kommission, zumindest im grenzüberschreitenden Verkehr Fahrgastrechte festzuklopfen. Bahnchef Hartmut Mehdorn scheut solche Regelungen wie der Teufel das Weihwasser und will allen Gesetzen zuvorkommen. So versprach er Künast eine Selbstverpflichtung für den Fernverkehr, die er für vergangenen September ankündigte. Doch liegt bis heute nicht einmal ein Entwurf vor.

Eine Ausnahme gibt es dann doch: Verspätet sich ein ICE mehr als 30 Minuten, bekommen die Reisenden einen Gutschein über 10 Euro, bei mehr als 90 Minuten über 25 Euro. Europäische Nachbarn sind da allerdings weiter: In den Niederlanden etwa erhält der Bahnkunde immer ein Viertel des Ticketpreises zurück, wenn der Zug eine halbe Stunde verbummelt.

Der Kundenverband Pro Bahn hat unlängst konkrete Vorschläge formuliert: Die Fahrgastrechte sollen im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert werden. Außerdem sollen sie – egal ob Bahn, Flieger oder Schiff – immer gleich sein. Ob die Tickets teurer werden, wenn Verkehrsunternehmen den Reisenden garantieren müssen, sie zuverlässig ans Ziel zu bringen? Nein, sagt der Vorsitzende Karl-Peter Naumann. Er glaubt fest daran: Bahn und Busse würden endlich pünktlicher.