Herumdoktern an Zuzahlung und Gebühr

Neue Detailregelungen zur Gesundheitsreform: Chronische Krankheiten werden definiert. Gehbehinderte bekommen Taxikosten erstattet. Ab heute müssen die Krankenkassen Befreiungen von Zuzahlungen für die Patienten ausstellen

VON ULRIKE WINKELMANN

Ab heute müssen sich die Krankenkassen in Bewegung setzen. Nach einem Gespräch von Ärzte- und Kassenverbänden im Gesundheitsministerium erklärte Staatssekretär Klaus Theo Schröder gestern, dass die Kassen-Spitzenverbände ihren Mitgliedern – AOK, DAK und Co – bestimmte Regelungen zu Praxisgebühr und Zuzahlung ab heute „zur Anwendung empfehlen“ würden.

Dies betrifft etwa die bislang strittige Frage, wer nun als „schwerwiegend chronisch krank“ zu gelten hat und deshalb nur 1 statt 2 Prozent vom Jahresbrutto für Zusatzbelastungen aufzubringen braucht. Die im Dezember vom zuständigen „Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen“ verfasste Definition behält demnach weitgehend ihre Gültigkeit.

Als chronisch krank darf sich bezeichnen, wer wegen einer schwerwiegenden Krankheit zweimal im Quartal in Behandlung eines niedergelassenen Arztes war und außerdem entweder eine schwere Pflegestufe oder eine 70-prozentige Behinderung aufweisen kann oder aber mindestens zweimal im Jahr im Krankenhaus war.

Am letzten Kriterium wird nun noch gefeilt: Ein Klinikaufenthalt dürfte demnach auch durch eine gleichwertige ambulante Versorgung ersetzt werden. Genaueres wird der Bundesausschuss am 27. Januar bestimmen. Außerdem soll der Bundesausschuss eine Liste der typischen chronischen Krankheiten aufstellen. Darauf komme, sagte Schröder, „etwa Mukoviszidose“, nicht unbedingt aber Diabetes. Absehbar ist, dass Patientengruppen darum kämpfen werden, auf diese Liste zu kommen. Wer vermutet, die genannten Kriterien zu erfüllen und bereits 1 Prozent vom Einkommen bezahlt zu haben, müsste ab heute befreit werden.

Am Abend wurde außerdem bekannt, dass für Heimbewohner auf Sozialhilfe die Heime demnächst die Zuzahlungen und Praxisgebühren vorstrecken und mit den Kassen verrechnen sollen. Mehr als drei Euro pro Monat sollen Heimbewohner nicht von ihrem Taschengeld zuzahlen müssen, hieß es.

Taxi-Fahrtkosten zum Arzt sollen allen Patienten bezahlt werden, die durch eine Geh- oder Sehbehinderung in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Ihnen wird ab heute Fahrtkostenerstattung angeboten.

Schröder bedauerte außerdem, dass es zu Jahresbeginn Fälle gegeben hatte, in denen Patienten die 10 Euro Praxisgebühr erst in Notfallambulanzen und dann bei nachbehandelnden Ärzten zahlen mussten. Es soll nun Regelungen geben, die einerseits verhindern, dass ein Patient als „geplanter Notfall“ die Praxisgebühr umgeht – die andererseits aber sicherstellen, dass keiner wegen eines Notfalls mehrfach zahlen muss. Offen ist noch, was passiert, wenn ein Arzt zwar eine gebührenbefreiende Überweisung ausstellt, der Patient diese aber erst im folgenden Quartal nutzen kann.

Undeutlichkeit verbreitete Schröder bei der Frage, wie das Ausstellen von Folgerezepten für die Antibabypille funktioniert. Das Ministerium will hierzu die Arzneimittelrichtlinien so ändern, dass nicht mehr nur Halbjahres-, sondern Ganzjahresrezepte ausgestellt werden können. So können Frauen zwar die Praxisgebühr vermeiden. Andererseits aber kann ein Arzt sie zur Gebühr verdonnern: Wenn er eine Patientin vor Ablauf eines Jahres „wieder sehen“ will.