ITALIEN: SCHWERER SCHLAG FÜR VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER
: „Neue“ rote Brigaden gibt es nicht

Was wurde nicht alles erzählt über die Taten der wie aus dem Nichts wieder aufgetauchten Roten Brigaden: Massimo D‘Antona, ermordet 1999, hieß der nicht fast so wie der damalige Ministerpräsident Massimo D‘Alema – war die Tat also womöglich ein Signal der US-Geheimdienste? Und Marco Biagi, der Arbeitsrechtler und Regierungsberater, erschossen im März 2002, nur vier Tage vor der enormen Gewerkschaftsdemonstration gegen Berlusconis Arbeitsmarktreformen – war der nicht von italienischen Schlapphüten ermordet worden, um den Gewerkschaftsprotest zu diskreditieren?

Die Wahrheit ist einfacher: Die „neuen“ Brigate Rosse sind kein Geheimdienstphänomen, und sie sind auch gar nicht neu. Sie sind ein Grüppchen alter Kämpfer, insgesamt nicht mal 15 Personen, die 1989 den bewaffneten Kampf einstellten und ihn zehn Jahre später wieder aufnahmen. Wo die Gründerväter um Renato Curcio schon vor 30 Jahren gescheitert waren, machen sie unverdrossen weiter: bei der fixen Idee, dem revolutionären Kampf mit der Knarre auf die Sprünge zu helfen.

Die frühen Rotbrigadisten allerdings mochten sich noch einbilden, Anhaltspunkte für ihre Avantgardetheorien zu haben. Hunderte kämpften in ihren Reihen, tausende bildeten das Netz der Sympathisanten; zehntausende glaubten an diesen Beginn der Weltrevolution. Heute können die paar Terroristen nichts und niemandem mehr gefährlich werden – außer ihren zur „Hinrichtung“ ausersehenen Opfern. Ihre Isolierung, dazu noch die Tatsache, dass ihr Mord an Biagi so offenkundig der gewerkschaftlichen Protestbewegung gegen Berlusconi schaden sollte – dies war der Boden, auf dem die Verschwörungstheorien gediehen.

Dabei hätte ein Blick in die Geschichte der Roten Brigaden genügt, um zu sehen, dass sie am liebsten immer dann zuschlugen, wenn sich im Land politisch etwas bewegte. In den Siebzigerjahren konnten die Rotbrigadisten zwar nicht die Revolution herbeiführen, aber aufgrund ihrer Potenz die politische Entwicklung des Landes ebenso nachhaltig wie negativ beeinflussen. Heute dagegen sind sie nicht einmal mehr dazu imstande. MICHAEL BRAUN