Termiten im Gemeindezentrum

Pläne der russisch-orthodoxen Gemeinde vor dem Messeeingang Süd drohen zu scheitern – und das, wo heute der neue Platz zwischen dem Karoviertel und den Gerichten eröffnet wird

VON GERNOT KNÖDLER

Dem ehemaligen „Haus der Heimat“ gegenüber des Messeeingangs sieht man an, dass es als Provisorium gedacht war. In der Gründerzeit der 1870er Jahre ist es als Schulgebäude errichtet worden und hat wundersamerweise die Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts überdauert. Das Ende droht ihm jetzt durch einen exotischen Schädling: Die gelbfüßige Bodentermite, eingeschleppt aus den USA, hat sich so weit durch die Balken des Fachwerkbaus gefressen, dass Gutachter um dessen Standfestigkeit fürchten.

Dies ist besonders misslich, weil das alte Gebäude das Gemeindezentrum der russisch-orthodoxen Gemeinde aufnehmen sollte, die es ebenso wie die benachbarte Gnadenkirche 2005 gekauft hat. Beide begrenzen den neu gestalteten und verkehrsberuhigten Karolinenplatz, der heute Vormittag eröffnet wird. Der Platz soll das Karolinenviertel entlasten – als Ausgleich für die Messeerweiterung.

Die Kirche hat das Gemeindezentrum als Treffpunkt für das Viertel geplant. „Es geht um die Möglichkeit des kulturell-religiösen Austausches“, sagt die Gemeindereferentin Lidia Kasakova. Neben religiösen Aktivitäten sollte hier getanzt und gesungen werden, es sollte Sprach- und Integrationskurse geben und eine Gemeindeküche eingerichtet werden. Angesprochen auf den Termitenbefall sagt Kasakova: „Es ist alles in der Schwebe.“ Von einem Neubau sei nicht die Rede. „Wir haben nichts außer dem Konzept im Moment“, sagt sie.

Die Stadterneuerungsgesellschaft Steg, die Sanierungsträgerin im Karoviertel, hält die Pläne für erfreulich, sieht aber schwarz für das Gebäude. „Das Gebäude ist abgängig“, sagt Steg-Sprecher Rüdiger Dohrendorf nach dem Blick in ein Gutachten zu der Immobilie. Alle Holzteile bis hinauf in den zweiten Stock seien von Termiten befallen und müssten ausgetauscht werden. Eine Kostenschätzung sei nicht möglich. Schnelles Handeln sei geboten – auch um zu verhindern, dass die Termiten die Häuser im Karoviertel anfallen.

Auch das Bezirksamt Mitte vermutet, dass das Gebäude nicht zu erhalten sein wird. „Eigentlich müsste der Eigentümer klären, was möglich ist und was nicht“, sagt Bezirksamtssprecherin Sorina Weiland. Wenn das Gebäude nicht zu halten sei, müsse die Kirchengemeinde eine Abbruchgenehmigung beantragen.

Das Gemeindezentrum in spe ist nicht das erste Gebäude in der Nachbarschaft, das von Termiten angefallen wurde. Das benachbarte Abendgymnasium am Holstenglacis, das Strafjustizgebäude und das Gebäude des Oberlandesgerichtes wurden ebenfalls angeknabbert – das Oberlandesgericht zuletzt Mitte der 90er Jahre. Die Insekten sind schwer auszurotten, weil sie in der Nähe der hier verlaufenden Fernwärmeleitungen kommod überwintern können und sie eine fantastische Reproduktionsrate vorweisen können.

Ganz gleich, ob das ehemalige Haus der Heimat abgerissen werden muss oder nicht: Mit der Sperrung der Karolinenstraße für den Durchgangsverkehr steht die Gnadenkirche plötzlich nicht mehr auf einer Verkehrsinsel. Diese Verkehrsberuhigung macht den Karolinenplatz überhaupt erst zu einem Platz. Wie das Bezirksamt Mitte mitteilte, hat es 20 Jahre gedauert, bis diese Idee Wirklichkeit wurde. Möglich gemacht hat es die Bürgerbeteiligung zur Messe-Erweiterung. Um keine Proteste an der Sternschanze zu provozieren, hatte sich der Senat auf ein Mediationsverfahren eingelassen. Der Vorschlag, „die Kirche ins Dorf“ zu holen, ist Teil des dabei erarbeiteten Kompromisses.