Freispruch im ersten Grenzcamp-Prozess

Die Angeklagte soll im vorigen Sommer zwei Eier auf rechte Demonstranten geworfen haben. Doch dafür konnte Kölns Polizei keine Beweise vorlegen. Noch rund 200 Verfahren gegen Teilnehmer der antirassistischen Aktion sind anhängig

KÖLN taz ■ Mit einem glatten Freispruch endete das erste Gerichtsverfahren gegen Teilnehmer des antirassistischen Grenzcamps, das letzten Sommer in Köln-Poll stattgefunden hatte. Die Polizei hatte das Camp einen Tag vor seinem Ende gewaltsam aufgelöst und 360 Personen festgenommen, weil die Camper bei ihren Aktionen gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik insgesamt 84 Straftaten begangen hätten, darunter „Landfriedensbruch, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und gefährliche Körperverletzung“, die die Polizei auf Video gefilmt habe.

Auf der Anklagebank im Kölner Amtsgericht saß Elena H. Die Staatsanwaltschaft warf der 25-jährigen Mutter zweier Kinder vor, während einer Demonstration von Rechtsextremen in der Nähe des Camps am 9. August 2003 mit einem „gefährlichen Werkzeug“ andere Personen „körperlich misshandelt“ zu haben. Im Klartext: Sie soll Eier auf die Rechten geworfen haben.

„Ich habe keine Eier geworfen“, beteuert die Beklagte. Die Zeugin, eine junge Polizistin, erinnert sich aber, die Beklagte habe Eier und Farbbeutel geworfen: „Beide Hände waren definitiv mit Farbbeutelfarbe beschmiert.“ Doch das wurde von der Polizei nicht mit Fotos dokumentiert. Woher sie wisse, dass es sich bei der Eierwerferin tatsächlich um Elena H. handele, fragt die Staatsanwältin. Die Antwort: „Wir kannten die Gesichter schon von den Vortagen.“ Auf einem Foto erklärt die Polizistin, wo sie zur Tatzeit stand: „Die Rechten standen links, die Linken standen rechts und ich war hier.“ Das Publikum lacht.

Richter Alfred Klimmer schaltet daraufhin den Videorecorder ein. Gespannt verfolgen alle das kurze Polizeivideo: Rechte Demonstranten stehen rechts und linke Demonstranten links. Zwei Eier fliegen, aber keins aus den Händen der Beklagten, die überhaupt nicht verschmiert waren. Die Staatsanwältin beantragt Freispruch, da die Zeugin sich nicht an alle Details erinnern könne. Der Verteidiger schließt sich an. Klimmer wollte das Verfahren schon vorher einstellen, doch die Staatsanwältin war dagegen. Jetzt sagt er: „Es sind Zweifel aufgetreten.“ Freispruch.

Verteidiger Eberhard Reinecke spricht später von einer „typischen Verwechslungssituation“. Problematisch sei, dass das Polizeivideo erst auf seinen Antrag hin für den Prozess herangezogen wurde. Reinecke vertritt noch weitere Grenzcamper. Seiner Schätzung nach gibt es zwischen 150 und 200 Verfahren, bei denen kein konkreter Tatverdacht vorliege. Die müssten alle eingestellt werden, fordert er.

Thomas Spolert