Alt und arm dran

Zwei Wochen nach der Einführung der Praxisgebühr gibt es mehr Fragen als Antworten. Besonders problematisch sind unklare Regelungen bei Notfalldiensten und Seniorenbetreuung

Von PATRICK TIEDE

Eines ist mal sicher: Am Patienten liegt es nicht. Bei der Umsetzung der Gesundheitsreform sind die meisten Probleme hausgemacht. Besonders auf dem Brandfeld Praxisgebühr müssen täglich neue Löscharbeiten verrichtet werden. Feuerwehr spielen zumeist Ärzte, Patienten und Kassen gemeinsam, um die neuen Regelungen für alle Seite verträglich umzusetzen.

An der „Basis“, dem täglichen Dienst in Hamburgs Arztpraxen, läuft es relativ reibungslos. „Der Patient kommt, zahlt seine zehn Euro, wird behandelt, erhält die Quittung sowie notwendige Überweisungen und geht wieder. Ganz einfach“, berichtet Zahnärztin Rosemarie Karsten. Aus anderen Praxen ist Ähnliches zu vernehmen. Kleine Ausnahmen bestätigen die Regel. Da wird mal eine Quittung vergessen, dann fehlt das nötige Kleingeld. Karsten: „Ganze drei Patienten in zwei Wochen konnten nicht zahlen oder wussten nicht Bescheid.“

Die Mehrheit ist gut informiert. Zum Beispiel über das von Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung angebotene Kundentelefon (☎ 22 80 26 50). Dorthe Kieckbusch, Sprecherin der Ärztekammer bestätigt: „Die Zahl der Anrufe hat deutlich zugenommen. Viele machen erst ihrem Unmut Luft, fragen dann aber ganz konkret nach.“ Nicht selten zum leidigen Thema Überweisungsträger. Ohne diese muss bei einem Arztbesuch gezahlt werden. Das habe zum Jahresbeginn einen regelrechten Run auf die Scheine ausgelöst. Zwischenzeitlich seien sogar die Vordrucke ausgegangen.

Gegen das Chaos beim Notfalldienst nimmt sich dies alles aber recht bescheiden aus. Hier haben die unklaren Regelungen voll auf die Praxis durchgeschlagen. Härtefälle sind keine Ausnahme. Der Allgemeinmediziner Holger Berges weiß von mehreren Patienten, die gleich dreimal hintereinander die Praxisgebühr zu entrichten hatten. Berges stellt den Kassenärztlichen Notdienst an den Pranger. Nicht ohne Grund, denn in Hamburg wird hier am meisten kassiert. Fährt der Notdienst einen Einsatz, hält er dafür jedesmal die Hand auf. Auch mehrmals am Tag bei der gleichen Adresse. Stefan Möllers, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, reicht den Kelch der Empörung weiter an das Bundesgesundheitsministerium: „Wir halten uns nur an den Bundesmantelvertrag, haben dabei aber Bauchschmerzen. Die Regelungen sind aufgrund der fehlenden Detailschärfe eine Frechheit. Wir müssen sie in die Praxis umsetzen und gegenwärtig schlägt das in Hamburg auf die Notfallpatienten durch.“

Ein Blick auf die Nachbarn bestätigt das. In Bremen wird generell nur einmal am Tag kassiert, egal wie oft der Arzt kommt. Schleswig-Holstein wartet mit einem abenteuerlichen „Freischussverfahren“ auf. Robert Quentin, Sprecher der dortigen Kassenärztlichen Vereinigung: „Wird ein Patient per Notfall behandelt, muss er zahlen. Der nächste Ruf ist dann kostenfrei, beim übernächsten werden wieder zehn Euro fällig.“ Das Bundesgesundheitsministerium will diesen interpretatorischen Selbstversuchen in der kommenden Woche ein Ende setzen.

Eine Überarbeitung des Gesetzes sollte auch den Senioren in Hamburgs Pflegeheimen zugute kommen. „Viele Heimbewohner haben lediglich 90 Euro Taschengeld im Monat“, sagt Jan Hell, Leiter des Christophorus-Seniorenheimes in Fuhlsbüttel. Hier hat er ein System etabliert, bei dem alle behandelnden Ärzte ihre Praxisgebühr vorab bekommen. Wenn nun der Notfallwagen vor der Tür steht, sieht Hell nicht, „dass da jedes Mal zu zahlen ist“.

Die Lage bei den Alten und sozial Schwachen ist das zentrale Thema in der Hamburger Ärztekammer. Klaus-Otto Allmeling, Allgemeinarzt und Vizepräsident: „Wenn sich ein Land den Eurofighter leistet und gleichzeitig seine Alten nicht mehr operieren lässt, dann ist etwas faul.“