Wer A sagt, muss auch Bier sagen

Auf der Berliner Grünen Woche: Als Ghostwriter eines Getränke-Tycoons in Aktion

Und noch immer stank esnach Zigarrenrauch, Alkohol – und Verbrechen

Das Telefon riss mich aus einem wirren Traum, in dem es von unbezahlten Rechnungen wimmelte. Schweißgebadet fuhr ich im Bett hoch. Dabei sah ich auf den Wecker – zehn Uhr früh. Fluchend riss ich den Hörer von der Gabel. „Mike?“ Das war Mister Enders, Chef unserer Agentur. „Schwing deinen Hintern aus den Federn und komm nach Berlin auf die Grüne Woche. Wir treffen uns 13 Uhr mit Brauereiboss Plenzke, der Trouble wegen seinem Schwarzbier mit dem Landwirtschaftsministerium hat und jetzt ein Buch darüber geschrieben haben will.“

Ich war Angestellter einer Ghostwriter-Agentur, ein G-man, wie wir anerkennend in der Branche genannt wurden. Ich zündete mir eine Zigarette an. Nach Frühstück war mir ohnehin nicht zumute. Ich schnappte meinen Smith & Wesson-Laptop. Die Sache mit diesem Brauereichef ging mir nicht aus dem Kopf. Als ich Sekunden später im Taxi zum Bahnhof saß, dachte ich immer noch daran. Ich nahm den nächsten ICE nach Berlin. Die Lady vom ICE-Team lächelte mehr als freundlich, als sie mein Ticket abknipste. Sie und ihre Kollegen kannten mich: Ich war schon öfter ICE gefahren. Ich lehnte mich zurück, ließ die Landschaft draußen an mir vorbeisausen. Das Honorar musste überschlagen werden. Reine Schreibzeit: ein Tag. Bildbeschaffung: ein halber Tag. Macht aufgerundet achttausend Euro. Ich rief Herrn Enders von der Agentur an. „Chef! Achttausend Euro habe ich ausgerechnet. Kriegen wir das durch?“ – „Zerbrich dir nicht meinen Kopf. Aber im Ernst: Ich bin auf den gleichen Betrag gekommen.“

Dann rief ich in unserem Archiv an, brauchte weitere Informationen über Plenzke. Info-Man Klaus Leweke hatte mir aus dem Internet sogar den linken Fußnagel meines schlesischen Lieblingskeyboarders Jozef Skrzek besorgt. „Hier, schnall dich an“, begann er seinen Spruch. „Über Plenzkes Vergangenheit weiß kein Mensch was. Vor zehn Jahren kaufte er die Klosterbrauerei Altzelle. Weil er seinem Schwarzbier Zucker zugeben muss, darf er es nicht Bier nennen. Plenzke rächte sich mit einer Etikettenkampagne, die eine Teilcharge seines Bieres als ‚Amtsposse Jahrgang 1996‘ deklarierte. Der ist mit allen schmutzigen Brauwassern gewaschen, der macht sogar Badebier. Wenn du mich fragst, lass die Finger davon.“ – „Dich fragt aber keiner, Partner“, entgegnete ich scherzend. Ich zündete mir eine Zigarette an, hackte mein Exposé in den Laptop.

Berlin empfing mich am Bahnhof Zoo in einem weißen Kleid. Ich nahm die U2 Richtung Ruhleben. Der Untergrund spuckte mich am Kaiserdamm aus. Das ICC bog sich unter der weißen Last. Ich ließ den Rauch der Lucky über meine Lippen strömen. Die Security am Einlass machte keine Mätzchen. Sie kannten mich. Ich war voriges Jahr schon auf der Grünen Woche gewesen. Und beim Konzert des bekannten Sängers Prince im ICC. Noch immer wurden hier teure Drinks gemixt, noch immer dröhnten südamerikanische Rhythmen aus den Lautsprechern, noch immer hüpften barbusige Kellnerinnen herum, die zwielichtigen Figuren jeden Wunsch von den Bäuchen ablasen. Und noch immer stank es nach Zigarrenrauch, Alkohol – und Verbrechen. Doch das nur am Rande.

Verdammt, die Lady am Stand von Plenzkes Klosterbrauerei war genauso exquisit wie ihre Umgebung. „Ich habe einen Termin bei Mister Plenzke.“ Sie blinzelte mich undurchsichtig an. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mister Plenzke mit dir reden will“, zischte mir ein Schrank von Mann ungebeten ins Ohr. Sein Bauch sah aus, als habe man ihm ein Partyfass hineingestopft. „Das kann ich mir auch nicht vorstellen“, ergänzte ein zweiter Schrank von der anderen Seite. „Aber ich kann mir vorstellen, dass er euch den Arsch bis zu den Ohren aufreißt, wenn ihr hier zu denken anfangt.“ Der eine Gorilla telefonierte kurz. Dann grunzte der Hurensohn sein Okay. Plenzke saß auf einem schneeweißen Wildledersofa in der VIP-Lounge und hörte gelangweilt Mister Enders, meinem Chef, zu. Ich zündete mir eine Zigarette an. Das kühle Plastik meines Smith & Wesson-Laptops lag fest und beruhigend in meiner Rechten. Ich war kein Anfänger mehr, wusste, dass ich mich nicht verkrampfen durfte. Denn das kostete im Ernstfall Ziel- und Pointengenauigkeit. „Verdammt trockene Luft hier.“ Ich ließ es so eiskalt und ruhig wie möglich klingen. „Ein 38er Spezial Pilsener vielleicht?“, bot Plenzke an. „Danke, lieber ein Wasser.“ Plenzke musterte mich mit einer Mischung aus Ablehnung und Widerwillen. Er räusperte sich: „Hören Sie, G-man. Was Sie mit Ihrem Chef da ausbaldowert haben, das vergessen Sie mal ganz schnell. Ich habe neulich ein Buch gelesen von einem Amerikaner. Topmanager. Sein Leben, seine Philosophie. Und so will ich auch mein Buch haben, verstehen Sie? Ihre Vorgänger haben nur ihre Kofferräume mit meinem Bier vollgepackt, haben sich nie wieder blicken lassen.“ – „Verständlich“, rutschte es mir raus. „Äh, verstehe, meinte ich.“ Zu spät. Plenzkes Augen wurden zu Schlitzen, zwischen die nicht mal eine Seite Bibeldruckpapier gepasst hätte. Es war nur eine Frage von Sekunden, bis seine Gorillas sich langsam erheben und ein ganz persönliches Gespräch mit mir an einem der Hinterausgänge führen würden.

Da tat sich auf einmal mächtig was am Eingang der Lounge. Ein Blitzlichtgewitter. Ohne Zweifel: Irgendein hohes Tier machte seine Stippvisite. Plenzkes Bodyguards reagierten in dem Durcheinander eine Spur zu langsam. Ich rannte aus der VIP-Lounge Richtung Ausgang, dann in Richtung Theodor-Heuss-Platz. Ich musste die U-Bahn erreichen. Zwanzig Meter. Das war weiter als bis zum Mond und wieder zurück. Hinter mir Plenzkes Gorillas. Verdammt, in Momenten wie diesen frage ich mich immer wieder, warum ich keinen anständigen Beruf gelernt habe. Ein warmer Lufthauch wehte aus dem Untergrund. Ein fernes Grollen kündete die Ankunft eines Zuges an. Ich sah das kleine tanzende Licht. Und atmete auf.

MICHAEL RUDOLF