Kuscheln für Deutschland

Der Zivildienst – ein erledigter Fall? Schade. Er war das Beste, was Deutschlands junge Männer kriegen konnten – das einmalig sichere Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben

VON ROBIN ALEXANDER

Der Zivildienst wird abgeschafft. Vielleicht 2008. Wahrscheinlich früher. Er wird gemeinsam mit der allgemeinen Wehrpflicht verschwinden, die dem Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee mit Profipersonal im Weg steht. Ein Nebenwiderspruch, der lediglich die Sozialverbände vor ein paar logistische Problem stellt? Nein, mehr. Der Zivildienst ist eine der bemerkenswertesten gesellschaftlichen Einrichtungen der Bundesrepublik.

Und eine, die sich rapide verwandelt hat. Früher sahen Kriegsdienstverweigerer aus wie Matthias R., der meine Eltern manchmal zum Kaffeetrinken besuchte: Er trug Bart und Pullover, er wählte selbstverständlich die Grünen und rauchte Selbstgedrehte. Die Anmutung eines Widerständlers war natürlich Attitüde, aber eine mit Hintergrund: Matthias R. hatte eine unangenehme Gewissensprüfung hinter sich und musste lange suchen, bevor er jemanden fand, der eine Zivi-Stelle einrichtete: Schließlich erbarmte sich ein Pfarrer.

Der Atheist Matthias R. mähte katholischen Rasen und putzte katholische Fußböden, fast zwei Jahre lang – beinahe doppelt so lange wie seine Altersgenossen beim Bund Männchen machten. Später fürchtete der angehende Lehrer um seine Verbeamtung durch den Staat, den mit der Waffe zu verteidigen er abgelehnt hatte.

Leuten wie Matthias R. ist es zu verdanken, dass das schon im Grundgesetz verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung eine gesellschaftliche Realität wurde: Ihr Beharren hat ein nicht schikanöses Verfahren erreicht und ein flächendeckes Angebot von Zivistellen. An dieser Stelle und in vollem Ernst, dafür: Danke schön!

Längst ist die Realität von Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst eine andere. In meinem Abiturjahrgang (1994) verweigerten nur sechs von 23 Männern nicht. Die amtlich geforderte schriftliche Behauptung, ein Gewissen zu haben, wurde von Deutsch-Leistungskurslern oder älteren Jahrgängen kopiert.

Ich fürchte, dass meine etwas romantisch geratene Verweigerung (christlicher Hintergrund, Opas Beinschuss an der Ostfront, Erich-Fried-Gedichte) noch heute am Gymnasium Eickel in Herne kursiert. Die Entscheidung für den Zivi und gegen den Bund hat heute nichts mehr mit Zivilcourage zu tun, sondern damit, das Zimmer in der WG oder bei den Eltern der Kaserne vorzuziehen. Es hat also mit gesundem Menschenverstand zu tun.

Im heutigen Zivildienst gilt längst wie im richtigen Leben: Wer sich ein bisschen kümmert, findet eher etwas, das ihn interessiert. In meiner Zivildienststelle im Informationszentrum Dritte Welt lernte ich Tippen mit zehn Fingern, besseres Englisch, den Umgang mit widerwilligen Behörden und Gutmenschenjargon: All das ist mir später an der Uni und im Job sehr nützlich gewesen.

Natürlich kann man auch reinfallen. Ein Freund aus dem Osten, wo es wenig Kirche und ganz wenig alternative Szene mit den entsprechenden Zivistellen gibt, mailt mir: „Wenn du Infos von jemandem brauchst, der in einer Großküche gearbeitet hat mit Straftätern, geistig Zurückgebliebenen und einem Chef der später wegen Vergewaltigung gefeuert wurde, dann ruf mich an.“ Vor Frust hat er damals eine veritable Drogenkarriere begonnen. Aber seitdem guckt er sich genau an, wo er anheuert.

Beim Bund sind die meisten ganz normale Leute, aber es besteht schon die Gefahr einen Rassisten ins Zimmer gesteckt zu bekommen oder sich bei einem sadistischen Unteroffizier einen bleibenden Schaden zu holen. Seien wir ehrlich: Armeen wirken anziehend auf schlechte Menschen. Das Schlimmste hingegen, was einem normalerweise im Zivildienst passieren kann, ist, sich in eine zehn Jahre ältere Sozialarbeiterin zu verlieben.

Wenn man Glück hat, bietet der Zivildienst etwas, was im Leben sonst schwer erreichbar ist: Das sichere Gefühl, die richtige Entscheidung für sich selbst getroffen zu haben und gleichzeitig für andere nützlich zu sein. Wo gibt es das sonst in dieser Gesellschaft der 1.000 Möglichkeiten, in der eigentlich niemand irgendwo wirklich gebraucht wird? Der Zivildienst ist die zentrale Sozialisation der harmlosen, freundlichen Seite unseres Landes: die eigentliche Schule von Kuschel-Deutschland.

Während meines Dienstes wurde ich einmal zu einem vierwöchigen Lehrgang in einer von britischen Fliegern verlassenen, sehr abgelegenen Kaserne im Niedersächsischen eingezogen. Dort konnte man zur Abendgestaltung in einer Holzwerkstatt basteln: Das meistgesägte Motiv war Janoschs Tigerente.