■ Die kapitalistische Produktions- und Lebensweise zerstört die Lebensgrundlagen
: Fortschrittsglaube von vorgestern

betr.: „Nachhaltige Irrtümer“ (Wenn die Grünen von Innovationen reden, klingt ihre alte Fortschrittskepsis auf. Darum wird das humane und ökologische Potenzial neuer Technologien von ihnen oft verkannt) von Dieter Rulff, taz vom 9. 1. 04

Der Beitrag ist voller Irrtümer und neoliberaler Ideologien. Die Grünen waren nie technikfeindlich. Sie waren und sind technikkritisch gegenüber bestimmten Techniken nach bestimmten Kriterien. Die kapitalistische Notwendigkeit der ständigen „schöpferischen Zerstörung“ ist unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten mehr als fragwürdig. Die Grenzen des Wachstums sind nicht flexibel geworden, sondern der fossil getriebene Fortschritt mit seinem Innovations- und Wachstumsfetisch zerstört in dramatischer Weise die Lebensbedingungen auf der Erde, was selbst ein flüchtiger Blick in die taz täglich belegt. Usw.

Nachhaltigkeit bedeutet, eine Produktions- und Lebensweise zu finden, die nicht auf Kosten anderer lebt und die Lebensgrundlage zerstört, wie die gegenwärtige kapitalistische Produktions- und Lebensweise. Dieses Kriterium sollte immer wichtig sein. Oder werden wir demnächst von Herrn Rulff lesen, dass der Schutz der Menschenwürde nicht zu verabsolutieren sei, weil sonst technische Innovationen, Wachstum und schöpferische Zerstörung gefährdet werden. Rulff mag ja Kenntnisse der „Parteienlandschaft“ haben, aber mit den Gefährdungen verwissenschaftlichter Technologien und den Zerstörungen durch den Kapitalismus hat er sich ernsthaft nicht beschäftigt. Hier genügt ihm das Festhalten an einem von keinerlei Sachkenntnis getrübten Fortschrittsglauben von vorgestern. […]

OTTO ULLRICH, Berlin

„Nachhaltigkeit ist kein falsches Kriterium zur Beurteilung innovativer Prozesse, doch es ist nicht ausreichend. Es ist hilfreich für eine Reihe innovativer Prozesse und Produkte, etwa im Energiesektor. Zur Beurteilung einer ganzen Reihe anderer allerdings ist es wenig bis überhaupt nicht tauglich – was etwa sagt Nachhaltigkeit über die Entwicklung neuer Netztechniken bei Mobiltelefonen?“

Das ist ein nachhaltiger Irrtum. Dass Nachhaltigkeit zählt, zeigte ausgerechnet das Handelsblatt am Mittwoch. Als Beispiele wurden u. a. BMW und die Telekom genannt. GÖTZ KLUGE, Bangkog, Thailand

Herr Rulff hat leider mit seinem Artikel nahezu alle Mythen neoliberaler Ideologie nachgebetet und offenbar auch keinen wirklich inhaltlichen Begriff von „Innovation“ und von Nachhaltigkeit.

Bezeichnend der Satz: „Zur Innovation wird Wissen erst dann, wenn es zum Produkt oder Verfahren wird, das auf eine Nachfrage trifft.“ Diese Art der Innovation „meist technischer Natur“ ist derart eng in die „Leitplanken“ dieses Denkens eingezwängt, dass z. B. soziale Innovationen bereits durch die Begriffsbildung ausgeschlossen sind und bestimmte Produkte von hohem Gebrauchswert ebenfalls. Der Satz bedeutet, dass z. B. der Stand der Entwicklung von Medikamenten gegen Tropenkrankheiten mangels kaufkräftiger Nachfrage heute der Gleiche ist wie etwa 1937, während Mittelchen gegen Fettleibigkeit mit einem vielfachen Aufwand entwickelt und vertrieben werden. „Regulative Impulse“ aber hält er für Teufelszeug.

Nur selten übrigens – das sage ich als Ingenieur – haben technische Innovationen das erfüllt, was sich ihre Protagonisten erträumt haben. Lilienthal z. B. meinte, dass seine Erfindung künftige Kriege verhindern werde, weil durch das Flugzeug Menschen leichter zueinander kommen könnten. Einen guten Markt hat das Produkt natürlich.

Ich frage mich auch nach der Quelle seiner Einschätzung, die „Grenzen des Wachstums“ hätten sich als flexibel erwiesen. Vom Klimaproblem noch nichts gehört? Gerade die Nano-Technologie ist mit einem Maximalaufwand an Ressourcenverbrauch und an Müll-Output von 250.000 Tonnen giftigem Elektronikschrott allein aus PCs in Deutschland verbunden. 90% der Umweltbelastung entsteht bei der Herstellung von Computern (z. B. 1 Tonne CO pro PC). Übrigens: Die enormen ökologischen Vorteile beim Gebrauch dieses Geräts hat eine bekannte Studie durch die These vom zu erwartenden „papierlosen Büro“ des Jahres 2000 zu belegen versucht – die Realität hat das Gegenteil erwiesen, wie bei Lilienthal. Die Nutzungszyklen eines PCs liegen bei zwei Jahren, ebenso bei anderen Innovationen der Informationstechnologie wie den ständig weggeworfenen und erneuerten Handys. […] WOLFGANG NEEF, Berlin